BRITISCHE WIEDERENTDECKUNGEN

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Wie es der Zufall so will, wurden vor Kurzem gleich drei englische Autorinnen aus dem vergangenen Jahrhundert in ihrer Heimat wiederentdeckt und weil der Buchmarkt – besonders der englischsprachige – recht schnell ÜbersetzerInnen findet, kommen wir nun auch in den Genuss, in ganz eigene, weiblich dominierte Atmosphären einzutauchen. Die drei Autorinnen und ihre Bücher in chronologischer Reihenfolge sind: Dorothy Whipple (1893–1966) mit ihrem letzten Roman „Someone at a Distance“, der nun unter dem Titel „Der französische Gast“ als erstes Werk der Autorin ins Deutsche übersetzt wurde; Elizabeth Taylor (1912–1975) mit dem 1971 erschienenen Roman „Mrs. Palfrey at the Claremont“; und Barbara Pym (1913–1980), deren Roman „No Fond Return of Love“ 1961 herauskam.

Dorothy Whipple, die vom Schriftsteller J.B. Priestley als die „Jane Austen des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wurde, war zu ihrer Zeit eine Bestseller-Autorin, geriet aber nach ihrem Tod in Vergessenheit. Jetzt aber wird sie wiederentdeckt – und das zu Recht, stellt man nach der Lektüre von „Der französische Gast“ fest. Dieser Gast ist Louise, eine junge Französin. Sie bringt die seit zwanzig Jahren bestehende, glückliche Ehe von Ellen und Avery North auseinander. „Ein, zwei Sandkörner, die an einem Sandhügel ins Rutschen gerieten, konnten zum Schluss die ganze Landschaft verändern.“ Das führt zu keinem Happy End, aber doch zu einem Schluss, mit dem fast alle leben können. Und zwar so, dass man vergisst, dass diese Geschichte aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts stammt.

„Still und berührend, traurig und komisch“, so beschreibt Rainer Moritz, deutscher Literaturkritiker und Übersetzer, in seinem Nachwort zu „Mrs. Palfrey im Claremont“, den Roman von Elizabeth Taylor (das Werk findet sich übrigens in der 2015 von der Zeitung „The Guardian“ zusammengestellten „Liste der 100 besten englischsprachigen Romane“). Die verwitwete Mrs. Palfrey zieht in ein Londoner Hotel, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Mehr oder weniger freundlich und immer leise ironisch beschreibt die Autorin – die für diesen Roman zum Booker-Prize nominiert wurde – die übrigen Gäste. Man lernt sie alle kennen, erfährt vieles über den Tagesablauf im Hotel, die mindere Qualität der Speisen, die Umgebung des Hotels. All das gefiltert durch den von Stimmungen manchmal getrübten, manchmal erhellten Blick von Laura Palfrey. Wichtig für den Status im Haus ist es, Besuch von Verwandten zu bekommen, und da Mrs. Palfreys Tochter keine Anstalten macht, aus dem fernen Schottland anzureisen, erfindet die alte Dame einen Enkel: Ludo, einen jungen Schriftsteller, der aus dem Leben Lauras einen Roman machen will. Die Beziehung der beiden ist diffizil und eigenartig, gibt der Geschichte noch einmal eine andere Farbe. Man nimmt intensiv Anteil am Schicksal von Laura Palfrey, man spürt die Trauer der alten Dame, man bewundert sie, wie sie auf die Schmerzen reagiert, die ihr zugefügt werden. Am Ende des Romans zeigt die Autorin noch einmal ihre Meisterschaft, wenn Trauer und Herzlosigkeit, Oberflächlichkeit und tiefes Gefühl aufeinander treffen.

„In feiner Gesellschaft“ von Barbara Pym ist eindeutig das heiterste der drei Bücher aus dem vorigen Jahrhundert, auch wenn es damit beginnt, dass die Heldin des Buches, Dulcie Mainwaring, „aschblond, Anfang dreißig, recht groß und mit freundlichem Gesicht“, von ihrem Verlobten verlassen wird. Ablenkung sucht sie bei einer Tagung, „wo über akademische Spitzfindigkeiten debattiert wird, die dem Rest der Welt herzlich egal waren.“ Dulcie trifft dort auf die kratzbürstige Viola Stint, die die ganze Geschichte hindurch Freundin, aber auch Gegenspielerin sein wird. Viola sieht in Dulcie „einen dieser Gutmenschen, der sich mit sogenannten besten Absichten in fremde Angelegenheiten einmischte.“ Der Mann, um den es gehen wird, ist Aylwin Forbes, „blondes Löwenhaupt, wohlgeformte Nase, dunkle Augen“. Es ist die literarische Welt Mitte des vergangenen Jahrhunderts in England, in die man da eintaucht. Die Damen sind Korrektorinnen, Erstellerinnen von Registern, beschäftigt mit Recherche-Arbeiten – übrigens Tätigkeiten, die Barbara Pym aus eigener Anschauung kannte. Man taucht also lustvoll ein, zum Teil ist die Szenerie ein wenig angestaubt, die gar nicht so weltstädtischen Außenbezirke Londons, die Vorort-Pfarreien, die alten Hotels am Meer, dann aber ist da doch ein eigenartiges Prickeln, eine Neugier, welche Verwicklung die Erzählerin als nächstes für ihre Heldin bereithält. Denn, wie stellt Dulcie bei ihrer Lieblingstätigkeit, unbekannte Biografien aufzuspüren, fest: „Es schien so viel sicherer und behaglicher, sich im Leben anderer Leute einzurichten – ihre Freuden und Leiden mit einem gewissen Abstand zu beobachten, so wie man einen Film oder ein Theaterstück sah.“ Und an anderer Stelle: „Wenn wir den einen großen Kummer oder die eine große Liebe schon hinter uns haben, wer kann es uns verdenken, wenn wir uns mit den kleinen Dingen befassen?“ Und im Erfinden dieser kleinen Bagatellen ist Barbara Pym ganz große Meisterin.

Dorothy Whipple: Der französische Gast, a.d. Englischen von Silvia Morawetz, Verlag Kein & Aber, Zürich 2021.
Elizabeth Taylor: Mrs Palfrey im Claremont, a.d. Englischen von Bettina Abarbanell, Dörlemann Verlag, Zürich 2021.
Barbara Pym: In feiner Gesellschaft, a.d. dem Englischen von Sabine Roth, Verlag DuMont, Köln 2020.

17.5.2021

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