Lyonel Feininger (1871–1956) ist einer der Meister der klassischen Moderne, seine Werke befinden sich in zahlreichen Museen und Sammlungen in Europa und den USA. Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt zeigt nun die erste große Feininger-Retrospektive seit über 25 Jahren in Deutschland. Dabei wolle man – so Sebastian Baden, der Direktor der Schirn Kunsthalle – im abwechslungsreichen Werk Feiningers besonders auf die Widersprüche und Brüche aufmerksam machen. Dazu werden rund 140 Werke, darunter Gemälde, Zeichnungen, Karikaturen, Aquarelle, Holzschnitte und Fotografien, aus zahlreichen deutschen und internationalen Museen, öffentlichen und privaten Sammlungen gezeigt.

Weil es ja oft sehr schwer ist, Bilder in Worte zu fassen, hat man sich – in dem zur Ausstellung erschienenen Katalogbuch – bei Feininger auf das Wort „Kristall“ geeinigt. Denn mit „Kristall“ assoziiere man sein Werk am allerhäufigsten, und so steht es auch im Titel des einleitenden Beitrags der Ausstellungskuratorin Ingrid Pfeiffer: „Linie und Kristall, Melancholie und Humor“. Da weist sie sowohl auf die Kontinuität als auch auf anscheinend Widersprüchliches in Feiningers Werk hin, auf sein großes Interesse „an Lokomotiven und Schiffen, an Konstruktion und Architektur, an Linien und Strukturen“, und sie vermerkt, dass dies in Kontrast stünde „zu seiner Begeisterung für mittelalterliche Städte und Dörfer, für das Groteske, Fantastische und Märchenhafte“ in seinen Arbeiten.
„Selbstporträts und Figuren“ betitelt Ingrid Pfeiffer den ersten Teil ihrer Ausführungen, in denen sie Feininger zitiert: „Mein Ideal war, Bilder aus farbigen Silhouetten aufzubauen“. „Kubismus und Architektur“ heißt der Abschnitt, in dem die Serien „prismatisch aufgebrochener und monumentaler Architektur“ behandelt werden. Fortgesetzt wird mit der „Gelmeroda-Serie“, in der der auffallend lange und spitze Turm der kleinen Kirche im Dorf Gelmeroda bei Weimar bildprägend wird.

Lyonel Feininger war auch Karikaturist, hat als solcher in Berlin begonnen und seine diesbezüglichen Zeichnungen mit ganz alltäglichen Dingen belebt, die er dann für seine Söhne auch als Spielzeug schnitzte und bemalte: Altertümliche Bauten, genauso wie Lokomotiven und Holzfiguren mit Zylindern. Feiningers Werk könne, so Kuratorin Ingrid Pfeiffer, nach wie vor überraschen und seine tiefgründige Melancholie ebenso wie seine spielerische Leichtigkeit bis heute faszinieren.

In weiteren Beiträgen des Katalogbuches widmet sich Sebastian Ehlert „Lyonel Feiningers Karriere als Karikaturist“, Ute Ackermann, die Kustodin des Bauhaus-Museums in Weimar, schreibt in „Bauhaus-Kathedrale“ zur Entstehung eines ikonischen Bildes, wie die „Wundertat der gotischen Kathedrale“ die Arbeit am Bauhaus beeinflusst habe. Barbara Leven, Kustodin für Malerei und Plastik in Halle, macht in „Bewegte Konstruktionen“ Lyonel Feiningers Bilder der Stadt Halle zum Thema, wobei den Bildern Originalfotos der Bauwerke gegenübergestellt werden. Die auf Fotografie spezialisierte Kunsthistorikerin Franziska Lampe befasst sich in „Abbilden oder Erschaffen“ mit der Fotografie bei Lyonel Feininger. Er stand dieser ja anfänglich kritisch gegenüber und war über die zunehmende Technisierung der Künste besorgt. Umso erstaunter zeigt sich Lampe, dass Feininger ein Konvolut von zirka 20.000 Foto-Objekten hinterlassen hat. Dazu ist anzumerken, dass Feiningers Sohn Andreas (1906–1999) ein bekannter Fotograf war.
Unter dem Titel „Punkt und Kontrapunkt“ geht es um Lyonel Feininger und die Musik. Der in New York geborene Feininger stammte aus einer Musikerfamilie: Seine Mutter, Elizabeth Cecilia (geb. Lutz), war Sängerin und Pianistin, der Vater, Karl Friedrich Feininger. war Geiger, und von ihm erhielt Lyonel Feiniger als Kind Violinunterricht. Feininger hatte zunächst vor, in Leipzig Violine zu studieren, entschied sich jedoch dann, nachdem er 1887 nach Deutschland übersiedelt war, für ein Studium an der Akademie der Künste in Berlin. Dennoch schrieb er 1944 in seinen Reminiszenzen: „Ohne die Musik könnte ich mich überhaupt nicht als Maler sehen“.

Jetzt war noch gar nicht von der Bilderpracht die Rede, die in diesem Katalogbuch natürlich ungehemmt zu Tage tritt. Es ist ja schier unmöglich, das vielfältige Werk Feiningers in Worte zu fassen und man ist froh, dass der Künstler einem weiterhilft: „Mein Ideal war, Bilder aus farbigen Silhouetten aufzubauen.“
Das Buch:
Ingrid Pfeiffer (Hg.): Lyonel Feininger. Retrospektive. Hirmer Verlag, München 2023.
Die Ausstellung:
Lyonel Feininger. Zu sehen in der Schirn Kunsthalle Frankfurt bis 18. Februar 2024.
29.10.2023