
Weiß ist nicht Weiß: Da gibt es Wollweiß, Perlweiß, Cremeweiß, Milchweiß, Eierschalenweiß, Schneeweiß und noch so manche weitere Nuancen. Auch wenn das Weiß streng physikalisch gesehen gar keine Farbe ist, so wird es doch in der täglichen Wahrnehmung als solche empfunden und hat zudem hohen Symbolgehalt. Denn Weiß steht für Reinheit, für Unschuld und Ehrlichkeit, für Frieden, für die Stille und für die Leere. In manchen Kulturen symbolisiert es Freude, in anderen Trauer und Tod. All dies spiegelt sich auch in den Kleidungsgewohnheiten: Bei vielen festlichen Zeremonien wird Weiß getragen. Aber auch im Alltag, bei der Berufskleidung, lautet der Dresscode oft „weiß“, und für manche Sportarten, wie etwa beim Tennis, gilt weißes Outfit als typisch.

Mit der besonderen Bedeutung, die das Weiß in Bekleidung und Mode hat, beschäftigt sich eine Ausstellung, die derzeit im Textilmuseum im schweizerischen St. Gallen zu sehen ist. Am Beispiel von mehr als 100 Objekten – von Kleidungsstücken und Accessoires bis zu Modefotografien und Werbeplakaten – geht es um die vielen und vielfältigen mode- und kulturgeschichtlichen Aspekte des Weiß. So etwa, dass weiße Kleidung lange Zeit ein Statussymbol war: Wer empfindlich-helle Stoffe trug, demonstrierte damit, es nicht nötig zu haben, sich mit harter körperlicher Arbeit schmutzig zu machen.

Aber auch funktionale Gründe sprachen für das Weiß, denn nur ungefärbte Stoffe konnten hygienisch reingehalten werden. Wo immer erhöhte Anforderungen an Keimfreiheit bestanden, zum Beispiel in der Medizin, kamen weiße Textilien zum Einsatz. Bis heute ist oftmals in Branchen, in denen unter sterilen Bedingungen gearbeitet wird, weiße Berufskleidung verbindlich – so etwa in der Lebensmittelproduktion oder im Labor.
Nicht vergessen wird in der Ausstellung aber auch auf jene dunklen Schatten, die im Zusammenhang mit dem symbolischen Weiß zu sehen sind. Hier geht es um das Weiß als Zeichen für die vermeintliche Überlegenheit bestimmter Gruppen, um das Weiß als Symbolfarbe für Diskriminierung und Rassismus. Thematisiert werden auch wirtschaftliche und sozialgeschichtliche Aspekte im Zusammenhang mit den modischen Vorlieben für weiße Textilien. Ein Beispiel sind jene feinen Weißstickereien, die als teures Luxusgut gehandelt wurden, die aber den Frauen, die sie in kunst- und mühevoller Heimarbeit schufen, nur wenig einbrachten.

Bis heute ist Weiß durch seine spezielle Ästhetik, die das Material, die Textur und den Schnitt eines Kleidungsstücks hervorhebt, eine besondere kreative Herausforderung für Modeschaffende. Beispiele dafür sind in der Ausstellung unter anderem Stickerei-Kleider des St. Galler Modelabels Akris oder Entwürfe des japanischen Modedesigners Issey Miyake.
Die Ausstellung „100 Shades of White. Eine Farbe in Mode“ ist bis 10. September 2023 im Textilmuseum St. Gallen zu sehen.
15.4.2023