EINST GROSS IN MODE: DER MUFF

„Das, was man im Französischen sehr bezeichnend manchon, im Hochdeutschen Muff, und in unserer Wiener Localsprache Stutzen nennt, wird in Paris fast allgemein getragen, sogar die Männer haben es angenommen, und gehen auf der Straße, einen enormen Muff an ihre Brust gedrückt.“ So berichtete die „Wiener Zeitschrift“ in der Ausgabe vom 26. Januar 1830 über die aktuelle Pariser Mode. Vom späten 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert gehörte jene meist aus Pelz gefertigte Röhre, in die man die Hände steckte, um sie vor der Kälte zu schützen (oder einfach, weil dies „très chic“ war) , zu den populärsten Modeaccessoires.

Die französische Schauspielerin Amélie Diéterle, 1908. Foto: Léopold-Émile Reutlinger (Wikimedia Commons)

Nachweisbar ist der Muff in der europäischen Bekleidungsgeschichte ab dem späten 16. Jahrhundert. Zuvor hatte es oft an den Enden der Ärmel von Kleidungsstücken hülsenartige Stoffbahnen gegeben, in die man die Hände stecken konnte. Vermutlich hat sich der Muff dann daraus als selbständiges Teil entwickelt. Galt der Muff später vor allem als Accessoire für Frauen, so war er anfangs als wärmendes Bekleidungsstück durchaus auch für Männerhände willkommen.

Jean Dieu de Saint-Jean: Homme de Qualité en Habit d’Hiver, 1683. (Los Angeles County Museum of Art / public domain)

Aufgrund des teuren Materials – außer aus Pelz wurden Muffe auch aus Kaschmirwolle oder Samt gefertigt – bekam der Muff den Status eines teuren Prestigeobjekts. Deutlich wird dies auch in der Erzählung „Der Muff“ der österreichischen Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916): Eine alte Bettlerin bekommt darin an einem kalten Winterabend von einer mitleidvollen Generalsgattin einen Muff geschenkt und wird kurz darauf von einem Wachmann, der glaubt, sie habe den Muff gestohlen, in Arrest genommen.

Francesc Masriera: Hivern de 1882 (Wikimedia Commons)

Zwar taucht der Muff hin und wieder in Designerkollektionen auf (bei Prada etwa gab es einen Fuchsfellmuff), doch da ist er eher eine Kuriosität. Zum letzten Mal groß in Mode – und auch groß im Volumen – war er zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Wiener „Neue Freie Presse“ widmete ihm 1912 einen umfangreichen Beitrag: „Wenn im Sommer und Frühjahr der Hut für die elegante Dame das Wichtigste, Wesentlichste und Entscheidendste ihrer Eleganz ist, so ist es im Winter der Muff. Dieser Muff hat im Laufe der Jahrzehnte die unglaublichsten Wandlungen durchgemacht. Es gab Zeiten, wo man nur einen Hermelinmuff tragen konnte, dann wieder war er aus Seide, aus Samt oder gar aus Tuch, er war schmal und lang, breit und kurz, er wurde an einer Schnur um den Hals getragen, er hatte die Form eines Halbkreises, eines mürben Kipfels, eines Rechteckes, und einmal trug man sogar ganz runde Muffs.“

Otto Lendecke: Illustration für die Zeitschrift „Simplicissimus“, Heft 50, 9.3.1914, S. 838 (Wikimedia Commons)

Die neueste Mode sei nun, so war aus der „Neuen Freien Presse“ zu erfahren, der „ungeheuer große“ Muff, „in dem nicht nur die zwei Hände, sondern der halbe Körper Platz hätte. Es scheint, als wenn diese Dimensionen des modernen Muffs ins Unermessliche wachsen wollten. Man sieht jetzt welche in den Auslagen und bei eleganten Frauen, die so enorm sind, dass man sie auch als Schlafsack benützen könnte. […] Außerdem werden an die Dauerhaftigkeit dieses Riesenmuffs enorme Anforderungen gestellt. Die Damen drücken ihn fest an sich, sie stopfen die ganzen Ergebnisse ihres ‚Shoppings‘ in ihn hinein, er muss die Sandwiches für einen ausgewachsenen Afternoon Tea, zwölf Packerln, das Handtascherl und ein Paar Schlittschuhe aufnehmen können, ohne aus der Fasson zu geraten oder aus Ärger zu bersten.“

31.1.2023

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