SEHNSUCHTSORT SEMMERING

Das Hotel Panhans am Semmering. Alle Fotos in diesem Beitrag © K. Holzer
Das Hotel Panhans am Semmering. Alle Fotos in diesem Beitrag © K. Holzer

Es war keine Liebe auf den ersten Blick, als ich damals, vor über dreißig Jahren, zum ersten Mal hinauf kam. Das hat sich geändert. Der Semmering, jene Passregion zwischen Niederösterreich und der Steiermark, ist zum ganzjährigen Sehnsuchtsort geworden. Und es gefällt mir dort, ich mag es genau so, wie es jetzt ist. Mir ist der oft zitierte Dornröschenschlaf recht. Es freut mich, wenn mir ältere Damen aus ihrer Kindheit erzählen, als es üblich war, am Korso auf der Hochstraße zwischen dem Hotel Panhans und dem Südbahnhotel hin und her zu flanieren.

Diese Zeiten sind vorbei, aber der Semmering – Ort, Gegend, Landschaft, Berg – macht es einem leicht, sich im jeweiligen Ambiente wohl zu fühlen, es so anzunehmen, wie es sich gerade anbietet. Sei es beim Flanieren, beim Wandern oder Fahren, als morgendlicher Ausgangspunkt für größere Ausflüge in die Umgebung, aber auch als spätnachmittägliche oder abendliche Herausforderung, doch noch eine Runde über die Villenstraße zu drehen und die Restaurationsarbeiten, die Neubauten oder aber auch den langsamen Verfall des einen oder anderen Anwesens zu beobachten.

Am schönsten ist es am Abend, wenn auf der großen Tanne vis-à-vis die Amsel singt oder zu sommerlichen Festspielzeiten aus dem Südbahnhotel Klaviermusik ertönt. Oder am Morgen, wenn zum Frühstück die Sonne auf die Terrasse scheint, oder zu Mittag, wenn man im Gastgarten, umgeben von duftendem Phlox, genau das isst, was hierher passt: Eierschwammerln, Lamm oder Zwiebelrostbraten, gehobene Hausmannskost einfach. Oder aber, wenn man – nach langer, oft viel zu langer Abwesenheit – zuerst einmal einatmet, diese ganz besondere Luft genießt.

Die Hotels gehören zum Semmering dazu. Neuigkeiten kann ich keine erzählen, das eine, das Panhans, wird wohl wieder einmal aufsperren, das andere, das Südbahnhotel, beherbergt den Sommer über Kultur. Diese kulturellen Ereignisse geben einem auch die Gelegenheit, das Haus in seiner Besonderheit wahrzunehmen, durch die Säle zu gehen, von den Hotelterrassen hinunter ins Land zu schauen. Und wenn man will, kann man anschließend im traumhaft schönen Speisesaal auch ein Menu à la Belle Époque genießen.

Etwas soll noch erzählt werden: Damals, als vor über hundert Jahren die Südbahngesellschaft Hotels an der Strecke erbauen ließ, damals war es in den besseren Kreisen noch nicht üblich, sich von der Sonne bräunen zu lassen, sodass die Zimmer alle nach Norden ausgerichtet waren. Das wird vielleicht in der auf uns zukommenden Erderwärmung auch sein Gutes haben.

Die Villen: sie heißen Mary und Landau, Thusnelda und Daheim, Stefanie oder Antoinette. Und sie haben alle einen gewissen Stil, diesen Semmering-Villen-Stil. Man meint, dass sie genau so aussehen müssten, man kann sich gar keine andere Bauweise hier vorstellen. Wie gesagt, man kann die Villenstraße entlang flanieren und Details beobachten, die Bauwerke als Ganzes auf sich einwirken lassen, sich vorstellen, wie es wäre, dort zu wohnen, auf den Balkon hinauszutreten, in den Wald hinein oder ins Tal hinunterzuschauen.

Lässt man das sportliche Treiben (Downhill im Sommer mit Fahrrädern, im Winter mit Skiern) auf der Passhöhe hinter sich, führt die Hochstraße vorbei am Panhans bis hin zum Südbahnhotel. In regelmäßigen Abständen stehen zehn Schaukästen, die das „Hochstraßenmuseum“ bilden und einen über die architektonischen Spezialitäten des Semmerings informieren. Vor der letzten Kurve hinunter zum Südbahnhotel, wo es eine ganz besondere Aussicht hin zum Schneeberg gibt, findet man auch ein liebevoll gestaltetes historisches Wetterhäuschen. Historisch sind dann auch noch ein paar Portale und Schaufenster von Geschäften, die es schon viele, viele Jahre nicht mehr gibt.

Wandern ist eigentlich die Hauptbeschäftigung auf dem Semmering: Ein wunderschöner Rundwanderweg – zum Eingehen – beginnt beim Kurhaus und führt zum sogenannten 20-Schilling-Blick. Auf der vorletzten Ausgabe der 20-Schilling-Banknote war nämlich dieser Blick auf das Viadukt der Semmering-Bahn über die Kalte Rinne zu sehen.

Eine der klassischen Wanderstrecken am Semmering ist die Liechtensteinpromenade, die beim Südbahnhotel beginnt und nach rund neun Kilometern am Thalhof endet. Abzweigungen und Steigerungen sind erlaubt, entweder hinauf auf den Pinkenkogel oder – viel bequemer – hinunter zur Meierei am Golfplatz. Dieser ist der älteste – und, wie man mir sagt, auch der schwierigste – Golfplatz Österreichs. Das kümmert uns nicht, wir schauen den Golfspielern zu oder hinüber auf die Rax, sitzen unter schattigen Bäumen und genießen die Idylle.

Die andere Nah-Wanderstrecke ist die Johannespromenade. Die beginnt auf der Passhöhe und wird von uns meist bei der Nothnagelkeusche – so ein Name muss einem erst einfallen –, wird also bei der Nothnagelkeusche nach vier Kilometern beendet. Eine klare Quelle erfrischt und einfache Holzbänke laden zum Rasten ein. Entferntere Wanderziele sind natürlich der Schneeberg, die Rax, die Schneealm oder das Stuhleck. Oder aber der idyllische Rundwanderweg der vom Ortsteil Tirol in Neuberg an der Mürz wegführt. Natürlich wird man dort das Münster besuchen – oder aber, nach einer Schneealm-Wanderung, in den Urani-Teichen Abkühlung finden.

Abwechslungsreich ist auch der Bahnwanderweg, der am Bahnhof Semmering startet. Beeindruckend sind nach wie vor die Bahnviadukte. Aber auch die rekonstruierten Unterkünfte der Arbeiter, die beim Bau der Semmeringbahn beschäftigt waren. Man kann ihn schon in Breitenstein beenden oder aber bis Payerbach durchziehen.

Jedes Jahr bietet sich also – durch alle Jahreszeiten hindurch – eine große Auswahl von Wanderungen, seien es altbekannt Vertraute oder doch auch immer wieder Neue.

10.8.2024

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