ALMA M. KARLIN – DIE UNBEKANNTE „BEKANNTE WELTREISENDE“

Alma M. Karlin, 1927. Foto Adolf Perissich. (Wikipedia)
Alma M. Karlin, 1927. Foto Adolf Perissich. (Wikipedia)

„Klein, zart, filigranhaft ist diese Frau“, aber dennoch „eine der kühnsten, eine der waghalsigsten Frauen unserer Zeit. Eine Frau voll Furchtlosigkeit, voll unbeirrbarem Willen, voll eiserner Konsequenz“. So wurde Alma M. Karlin 1930 in einem Artikel im „Neuen Wiener Journal“ (15.11.1930) beschrieben, und Ähnliches war in zahlreichen anderen Zeitungsberichten über sie zu lesen.

Acht Jahre lang, von 1919 bis 1927, hatte Alma M. Karlin (1889–1950) alleine die Welt bereist. Ihre Route führte von ihrer Heimatstadt, dem slowenischen Celje, nach Genua und von dort per Überseedampfer – im billigen Zwischendeck – nach Peru. Von dort ging es weiter nach Panama, Los Angeles und San Francisco, dann nach Hawaii und nach Japan. Weitere Stationen waren Korea, China, Taiwan, die Philippinen, Borneo, Australien, Neuseeland, die Fidschi-Inseln, Neukaledonien, die Neuen Hebriden, die Salomonen, Papua-Neuguinea, Indonesien, Singapur, Thailand, Myanmar und Indien. Von der (damals noch indischen, heute pakistanischen) Hafenstadt Karatschi fuhr Karlin schließlich auf einem italienischen Dampfer nach Venedig und von dort, per Eisenbahn, zurück nach Celje.

Alma M. Karlin war zu ihrer großen Reise mit einem dafür sehr geringen Budget aufgebrochen: Das Startkapital betrug 130 Dollar und 10.000 Österreichische Kronen, was einem heutigen Geldwert von ungefähr 3.800 Euro entspricht. Mit im Gepäck hatte sie eine Reiseschreibmaschine Marke „Erika“ und ein von ihr selbst zusammengestelltes Wörterbuch in zehn Sprachen – und das waren die beiden wichtigsten Utensilien zur weiteren Finanzierung ihres Vorhabens. Denn Karlin war polyglott, sie hatte (als ihre Heimatstadt noch mit dem Namen Cilli zu Österreich-Ungarn gehörte) ein Lehrerinnenexamen für Englisch und Französisch abgelegt, hatte von 1910 bis 1914 als Übersetzerin und Sprachlehrerin in London gelebt und dort weitere Sprachstudien betrieben. Aufgrund dieser Kenntnisse konnte sie während ihrer Reise immer wieder entsprechende Arbeit finden. So etwa war sie in Panama als Gerichtsdolmetscherin tätig (als die erste offiziell dort in dieser Funktion tätige Frau) und arbeitete in Japan – ihrem Lieblingsland – als Sprachlehrerin und im Büro der deutschen Botschaft.

Foto aus einem Beitrag von Alma M. Karlin in der Aprilausgabe 1931 der Berliner Zeitschrift „Scherl’s Magazin“
Foto aus einem Beitrag von Alma M. Karlin in der Aprilausgabe 1931 der Berliner Zeitschrift „Scherl’s Magazin“

Ausgiebig kam im Verlauf der Reise die Schreibmaschine zum Einsatz. Denn Alma M. Karlin belieferte zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften – vor allem in Deutschland und Österreich, aber auch die deutschsprachige „Cillier Zeitung“ und sogar die in Peking erscheinende „Far Eastern Times“ – mit Reiseberichten. Diese bildeten die Basis für zahlreiche Bücher, die nach Karlins Heimkehr erschienen, mehrfach aufgelegt wurden und die sie zur erfolgreichsten deutschsprachigen Reiseschriftstellerin der 1930er Jahre machten. Auch internationale Anerkennung gab es: Einige der Werke wurden übersetzt – so etwa ins Englische, Französische oder ins Finnische –, und die schwedische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf meinte, dass auch Karlin den Nobelpreis verdiene.

Die „bekannte Weltreisende“, wie Alma M. Karlin häufig genannt wurde, fuhr nun quer durch Europa, um Vorträge zu halten. Es war ein anstrengendes Programm, vor allem, weil es um Karlins Gesundheit nicht zum Besten stand. Während ihrer Weltreise war sie mehrmals lebensgefährlich erkrankt gewesen und hatte sich mit Malaria infiziert. „Wie sie jetzt dort oben vor dem Vortragstisch steht und ihre Erlebnisse wiedergibt, hält man ihre Reise einfach für unmöglich. (…) Frau Karlin ist mittelgroß und überaus schwächlich, hüstelt manchmal, und man würde ihr als weiteste Reise höchstens eine Fahrt in die Schweiz zumuten“, schrieb die Zeitung „Der Tag“ (2.12.1928) nach einem Vortrag Alma M. Karlins in der Wiener „Urania“.

Vortragsankündigung in der Wiener Zeitschrift „Die Österreicherin“, 1. März 1931
Vortragsankündigung in der Wiener Zeitschrift „Die Österreicherin“, 1. März 1931

Warum die so erfolgreiche „bekannte Weltreisende“ heutzutage im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannt ist, das erschließt sich aus dem Buch „Alma M. Karlin – Mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt“ von Jerneja Jezernik. Die Journalistin und Literaturwissenschaftlerin, die aus Karlins Heimatstadt Celje stammt und in Ljubljana Slowenisch und Deutsch studiert hat, ist sicher die derzeit beste Kennerin von Leben und Werk der Weltreisenden. Sie hat etliche Werke Karlins ins Slowenische übersetzt, eine Karlin-Biografie verfasst und zahlreiche Beiträge zum Thema publiziert. Und sie hat sich intensiv mit dem in der National- und Universitätsbibliothek von Ljubljana aufbewahrten Karlin-Nachlass beschäftigt. In ihrem neuen Buch erzählt Jerneja Jezernik nun die Geschichte der Weltreisenden auf Basis dieser Dokumente – das heißt mit vielen Zitaten aus privaten Aufzeichnungen, Briefen und unveröffentlichten Schriften. Jezernik hat dieses Material sehr geschickt in ihren eigenen Text eingebaut und daraus eine spannend zu lesende Biografie gemacht. Da ist viel zu erfahren über das Leben in der altösterreichischen Provinzstadt Cilli, wo Alma M. Karlin (das M. steht für Maximiliana) 1889 als Tochter eines pensionierten k.k. Majors und einer Lehrerin geboren wurde und nach dem Tod des geliebten Vaters eine relativ isolierte, von ihr als unglücklich empfundene Kindheit verlebte. Berichtet wird von Almas ersten literarischen Versuchen, vom Aufenthalt in London, von der bald wieder gelösten Verlobung mit einem ihrer chinesischen Sprachschüler und natürlich von der Weltreise – von den vielen Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen, von Almas Interesse für die Situation der Frau in den verschiedenen Kulturen, von ihren ethnologischen und botanischen Forschungen, von ihren Recherchen zu Religionen, Kulten und Traditionen.

Alma M. Karlin (Wikipedia)
Alma M. Karlin (Wikipedia)

Alma M. Karlins Bücher sind heutzutage wohl vor allem von historischem Interesse, vieles hat sich seit ihrer Weltreise verändert, so manche ihrer Darstellungen ist von europäischem Überlegenheitsdenken geprägt, hin und wieder macht sich auch ein gewisser Rassismus bemerkbar. In Vergessenheit aber geriet Karlin vor allem aufgrund der politischen Entwicklung ab Mitte der 1930er Jahre. Da sie kein Hehl aus ihrer entschiedenen Ablehnung des Nationalsozialismus machte, war für ihre Publikationen der deutschsprachige Markt bald verschlossen. Lebensgefährlich wurde die Situation für sie, als sie Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich in ihrem Haus in Celje aufnahm, weshalb sie im April 1941, kurz nach Beginn der deutschen Besetzung Jugoslawiens, für einige Zeit in Gestapohaft kam. Aber auch für den slowenischen Widerstand und später für das kommunistische Jugoslawien war sie verdächtig: „Im neuen, sozialistischen Staat, in welchem das Deutsche als Sprache der einstigen Okkupanten noch lange nach Kriegsende verpönt ist, wird der deutsch schreibenden Autorin von der jugoslawischen Behörde kein Reisepass ausgestellt, sodass Alma ihre zahlreichen unveröffentlichten Texte im Ausland nicht vermarkten kann“ – so Jerneja Jezernik. Karlins Haus in Celje wurde nach Kriegsende konfisziert, ihre letzten Lebensjahre musste die Autorin in einem kleinen Winzerhaus verbringen, ihre Werke schienen völlig in Vergessenheit zu geraten. Erst im seit 1991 unabhängigen Slowenien wurde sie wiederentdeckt, in Celje erinnert seit 2010 eine Statue an sie. Jerneja Jezerniks Buch „Alma M. Karlin – Mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt“ wird hoffentlich dazu beitragen, dass man sich auch im deutschen Sprachraum wieder an diese bemerkenswerte Weltreisende erinnert.

Jerneja Jezernik: Alma M. Karlin – Mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt. Drava Verlag, Klagenfurt 2020.
Website in Slowenisch, Englisch und Deutsch der Zentralbibliothek von Celje zu Leben und Werk von Alma M. Karlin.

17.9.2021

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