KIA VAHLAND: ALTE BILDER, NEUE ZEITEN

Kia Vahland ist eine deutsche Kunsthistorikerin und Kunstkritikerin, im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ ist sie für das Kunstressort verantwortlich. Sie hat unter anderem Bücher über Leonardo da Vinci und Caspar David Friedrich geschrieben und widmet sich nun in ihrem neuesten Werk – Titel „Kunstgeschichten. Alte Bilder, neue Zeiten“ – der Frage: „Was berühmte Gemälde der Vergangenheit über die Gegenwart erzählen“.

Es geht ihr um die Mehrdeutigkeit bedeutender Gemälde, die Menschen zu unterschiedlichen Zeiten herausfordern, die Werke unterschiedlich zu betrachten. Beim Betrachten der Bilder in unseren Tagen hilft Vahland: „Das Alte besser zu verstehen heißt, dem Neuen besser begegnen zu können.“ Sechzehn Kunstwerke hat sie ausgewählt, von der Hochrenaissance bis herauf ins 20. Jahrhundert, von Sebastiano del Piombo und wie er Venedig sah bis zu Picasso, der sich mit unbekannten Bildhauern aus der afrikanischen Fremde identifizierte.

Eines muss hier gleich gesagt werden: Kia Vahland belässt es nicht beim Beschreiben von Farbtönen, dem „göttlichen Licht in der Höhe“ oder erotisierenden Heiligenfiguren. Sie stellt sofort Beziehungen her, Beziehungen zwischen der Zeit, in der die Gemälde entstanden sind und unseren Tagen, und das oft brandaktuell. Allein die Titel, die sie ihren Aufsätzen gibt, bringen eine erste Überraschung. Wenn Sie zum Beispiel das Gemälde „Die Welle“ von Gustave Courbet (1819 – 1877) vorstellt, dann wählt sie dafür den Titel: „Das Meer ist uns nicht untertan“.

Gustave Courbet: Die Welle. 1869/1870. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
Gustave Courbet: Die Welle. 1869/1870. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

Sie befasst sich darin zuerst  mit der nicht so einfachen Beziehung zwischen Mensch und Meer: Die Erwärmung der Meere wird da angesprochen und die Verunreinigung, auch die Gefahren durch Überschwemmungen oder Schiffbrüche. Strandurlaube seien erst um 1800 in Mode gekommen, weiß sie, und dass das Meer davor Ort für Fischfang, Handel und Krieg war. Courbet malte das Meer der Normandie in den späten 1860er Jahren, also zu einer Zeit, in der man schon an Erholung am Meer dachte, doch nie war sein Blick darauf touristisch: „In einer ganzen Serie von Gemälden schichtete er die Farben, verstrich sie mit einem Palettenmesser in groben Zügen, bis die Farbe zu einer dicken, klumpigen Masse wurde.“ Die Autorin zitiert Cézanne, der über das Bild meinte, dass es eines der Wunder des Jahrhunderts sei, „gemalt in giftigem Grün und schmutzigem Orange“ und dass der ganze Saal in der Alten Nationalgalerie in Berlin, wo sich das Bild seit 1906 befindet, nach Wasserstaub rieche. 

Max Liebermann: Am Strand von Noordwijk. 1908. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Max Liebermann: Am Strand von Noordwijk. 1908. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Und weil es so gut in die Urlaubszeit passt, noch ein Meeresstrand, und zwar eine Strandansicht des mondänen niederländischen Badeorts Noordwijk. Ihr gibt Kia Vahland den Titel: „Dieses Gefühl von Licht und Luft.“ Auch Max Liebermann (1847–1935), von dem das Werk stammt, malt in seinem Gemälde „Am Strand von Noordwijk“ aus dem Jahr 1908 das Meer nicht naiv als liebliches Idyll, es weht ein rauer Wind dort an der niederländischen Nordsee. „Liebermanns dicke, erdige Pinselstriche verbinden die Figuren mit ihrer Umwelt. Ihre Gesichter zeigt Liebermann nicht, ihre Gemütszustände schon: Sie sind am Ziel angelangt.“ Es sind schon recht viele „Meeresguckerinnen und Sandburgbuddler“ zu sehen, aber doch nicht so viele, wie das heutzutage oft der Fall ist. „Overtourism“ ist das Schlagwort, das Kia Vahland im Zusammenhang mit diesem Gemälde anspricht, und sie hat da auch schon einige Vorschläge parat, wie man dem begegnen könnte. Tief im Innern versteht sie aber, dass „es uns alle doch immer wieder an den Strand treibt.“

Buchcover

Kia Vahland: Kunstgeschichten Alte Bilder, neue Zeiten. Insel-Bücherei Nr.1551, Berlin 2025.

15.6.2025

Die Themen der Flaneurin:
Nach oben scrollen