SCHLITTENFAHRT UND RODELPARTIE

Wilhelm Amrhein: Detail aus dem Plakat „Winter in Engelberg“. 1905
Wilhelm Amrhein: Detail aus dem Plakat „Winter in Engelberg“. 1905

Der Schlitten ist ebenso eines der ältesten Transportmittel der Welt wie auch ein modernes Wettkampfsportgerät, er diente im Lauf seiner Geschichte nicht nur schwerer Alltagsarbeit, sondern auch luxuriöser Repräsentation, und er gehört seit Langem und bis heute ins fixe Repertoire des winterlichen Freizeitvergnügens. Die so facettenreiche Nutzung des Kufengefährts fand und findet ihren Niederschlag auch in vielfacher Weise in der Kunst. So ist die Schlittenfahrt – ob fröhlich oder tragisch endend – ein klassisches Motiv in vielen Bildern ebenso wie in zahlreichen Texten.

Wilhelm Busch erdichtete und zeichnete 1864 für die „Münchener Bilderbogen“ eine turbulente „Rutschpartie“ auf Schlitten, und für den österreichischen Dichter H.C. Artmann gehörte „a rodlbadii met dode“ („eine Rodelpartie mit Toten“) in dem avantgardistischen Mundartgedicht „wos an weana olas en s gmiad ged“ (1959) zu jenen Dingen, die dem Wiener „ins Gemüt“ gehen. Und wenn in Helga M. Novaks Kurzgeschichte „Schlittenfahrten“ (1968) der Streit um einen Schlitten zum Ausgangpunkt für das dramatische Scheitern der Kommunikation zwischen zwei Kindern und deren Vater wird, so wird in Orson Wellesʼ Filmklassiker „Citizen Kane“ ein Schlitten mit der Aufschrift „Rosebud“ zum geheimnisvollen Symbol für die unbeschwerte Kindheit des Titelhelden.

Giovanni Segantini (1858–1899): Rückkehr vom Wald. 1890.
Giovanni Segantini (1858–1899): Rückkehr vom Wald. 1890

Fahrten mit Pferdeschlitten waren Inspiration für zahlreiche Musikstücke – von Leopold Mozarts „Musikalischer Schlittenfahrt“ (1756) bis zu Leroy Andersons „Sleigh Ride“ (1948), um zwei der bekanntesten zu nennen. Dabei darf natürlich das Klingeln der Schlittenglocken nicht fehlen, das in der Musik fröhliche Stimmung vermittelt – das jedoch ursprünglich bei Schlittenfahrten vor allem der Sicherheit diente. Denn der Hufschlag der Pferde war auf Schnee stark gedämpft und daher war das Glockengeläut ein Warnsignal für Fußgänger, mit dem das Nahen eines Schlittens angekündigt wurde. Denn die oft sehr schnell dahingleitenden Gefährte verursachten immer wieder Unfälle, und deshalb war das Schlittengeläut vielerorts gesetzlich vorgeschrieben.

Salzburger Chronik, 7.1.1895, S. 4.
Salzburger Chronik, 7.1.1895, S. 4
Axel Ender (1853–1920): Winterausflug.
Axel Ender (1853–1920): Winterausflug

So mancher möchte gerne mit seinem Luxusschlitten Eindruck machen – das gilt heutzutage, wo der Begriff „Schlitten“ als umgangssprachliches Synonym für das Auto verwendet wird, das galt im mitteleuropäischen Raum aber ganz besonders vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert. Schon zuvor hatte es zu feierlichen Anlässen Schlittenkorsos gegeben (was durchaus an die heute oft üblichen Autokonvois bei Hochzeiten erinnert), in jener Zeit aber entwickelten sich derartige Schlittenfahrten in den europäischen Residenzstädten zu einem prunkvollen Teil des höfischen Zeremoniells. Mehr als um das Vergnügen ging es dabei um die Demonstration von Reichtum und Macht, wobei der Bevölkerung die Rolle des – möglichst staunenden – Publikums zugewiesen war. Besonders aufwendig gestaltete Korsos wurden damals, jeweils zwischen dem Dreikönigstag und dem Aschermittwoch, am Wiener Kaiserhof organisiert.

Johann Hieronymus Löschenkohl (1753–1807): Die Schlittenfahrt nach Schönbrunn für König Ferdinand IV. von Sizilien am 9. Februar 1791 (Sammlung Wien Museum)
Johann Hieronymus Löschenkohl (1753–1807): Die Schlittenfahrt nach Schönbrunn für König Ferdinand IV. von Sizilien am 9. Februar 1791 (Sammlung Wien Museum)

Eine der letzten dieser großangelegten Ausfahrten, über die in den Zeitungen stets ausführlich berichtet wurde, fand am 22. Januar 1815, während des „Wiener Kongresses“, statt und „war eines der glänzendsten und mit wahrhaft kaiserlicher Pracht veranstalteten Schauspiele, die man sehen konnte.“ Der insgesamt an die vierzig Schlitten umfassende Konvoi, zu dem auch ein „großer, sechsspänniger“ Schlitten mit Musikkapelle gehörte, startete „gegen 3 Uhr und fuhr unter einem ungeheuren Zulaufe von Menschen von der kaiserl. königl. Hofburg über den Kohlmarkt, Tuchlauben, Wipplingerstraße, Judenplatz, Hof, Freiung, Herrngasse, Michaelsplatz, Josephsplatz, bis zum Kärnthnerthore, Kärnthnerstraße, Stock am Eisenplatz, Graben, Kohlmarkt, zum Burgthor hinaus nach Schönbrunn.“ (Österreichischer Beobachter, 24.1.1815, S. 4). Im Schloss Schönbrunn gab es für die Gesellschaft, zu der neben dem österreichischen Kaiser auch der russische Zar, die Könige von Preußen und Dänemark und viel internationaler Adel gehörten, ein Diner und eine Opernaufführung (es war die Feenoper „Aschenbrödl“ von Nicolas Isouard). „Als das Schauspiel geendigt war, fuhr der Zug mit Schlitten in der vorigen Ordnung nach der k.k. Hofburg zurück. Jeden Schlitten begleiteten Fackelträger zu Pferde, und dieser Prachtzug hatte dadurch einen neuen Reiz erhalten.“ (Wiener Zeitung, 24.1.1815, S. 2).

Anthony Andriessen (1747–1813): Schubschlitten
Anthony Andriessen (1747–1813): Schubschlitten. Um 1800

Zum Schlittenfahren gehört Schnee – doch auch Eis kann dafür eine geeignete Grundfläche bieten. Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert waren sogenannte Stuhl- oder Schubschlitten beliebte Gefährte und oft auf zugefrorenen Teichen und Flüssen, auf Eisbahnen und Eislaufplätzen zu finden. Es war ein Trend, der mit der zunehmenden Beliebtheit des Schlittschuhlaufens zusammenhing. Denn wer das nicht konnte, ließ sich von jemandem, der es beherrschte, eben schieben. Allerdings konnte man nicht selbst bestimmen, wohin und wie schnell die Fahrt ging. Man ließ mit sich Schlitten fahren – und möglicherweise kommt daher das sprachliche Bild „mit jemandem Schlitten fahren“ im Sinne von „keine Rücksicht auf die Wünsche oder Bedürfnisse von jemandem nehmen“.

James D. Duncan (1808–1881): Boys on Coasters.
James D. Duncan (1808–1881): Boys on Coasters

„Das Schönste im Winter war immer das Schlittenfahren am Isarberg. Von vier Uhr nachmittags an – also nach Schulschluss – bis zum Eintritt der Dunkelheit wurde gerodelt, die besseren Buben hatten Schlitten, die ärmeren nahmen gleich den Schulranzen. Der Berg war ziemlich lang und steil, und es gab natürlich fortwährend Karambolagen“, erinnerte sich der Komiker Karl Valentin in dem autobiografischen Text „Winterstreiche“ an seine Münchner Kindheitserlebnisse in den 1890er Jahren.

Wie, wo und womit auch immer Schlitten gefahren wird – ob mit stabilen Lastschlitten, prächtigen Luxusgefährten, auf Holzrodeln, Bobschlitten, Toboggans, Skeletons oder einer der zahlreichen anderen Sonderformen, die sich im Lauf der Zeit entwickelt haben, ob aus eigener Kraft in Fahrt gesetzt, ob geschoben, ob von Pferden, Hunden oder vielleicht auch Rentieren gezogen, ob auf Schnee, Eis (oder, nicht zu vergessen, in der warmen Jahreszeit auf Sommerrodelbahnen) –, die so variantenreiche Geschichte des Gefährts ist auf jeden Fall durchaus noch lange nicht zu Ende.

Franz Wacik (1883-1938): Illustration aus dem Schulbuch „Wiener Kinder“. 1924
Franz Wacik (1883-1938): Illustration aus dem Schulbuch „Wiener Kinder“. 1924

23.12.2021

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