„ALS SANFTMÜTIGER KÖNIG UNSCHLAGBAR“

Frederic Edwin Church: A Donkey (1853). Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum, New York
Frederic Edwin Church: A Donkey (1853). Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum, New York

Zu Weihnachten darf auch er einmal ein wenig im Rampenlicht stehen. Denn den Platz an der Krippe im Stall von Bethlehem kann dem Esel keiner streitig machen. Zwar wird er – wie auch der Ochse – im neutestamentlichen Bericht von der Geburt Jesu nicht erwähnt, dennoch fanden er und sein Gefährte schon sehr früh, um das 4. Jahrhundert, Eingang in die christliche Ikonographie und wurden zu einem festen Bestandteil aller Krippendarstellungen.

Jacquelin de Montluçon: L’Adoration de l’Enfant (um 1496). Musée des Beaux-Arts, Lyon
Jacquelin de Montluçon: L’Adoration de l’Enfant (um 1496). Musée des Beaux-Arts, Lyon

Auch wenn ihm also in der Weihnachtstradition eine bedeutende Rolle zukommt, wird der Esel oft missachtet und verspottet. Er gilt als störrisch, und sein Name ist in vielen Sprachen ein Synonym für Dummheit. Damit aber wird dem Tier, das seit Jahrtausenden ein zuverlässiger Gefährte des Menschen ist, bitter unrecht getan. So etwa ist jenes eselstypische Sich-nicht-vom-Fleck-Bewegen-Wollen durchaus nicht, wie immer wieder behauptet wird, lediglich Ausdruck des Eigensinns und der Sturheit des Tieres. Und wenn sich der Esel in einer derartigen Situation auch durch Schläge nicht zum Weitergehen antreiben lässt, hat das nichts mit jener Dumpfheit und Unterwürfigkeit zu tun, die ihm häufig nachgesagt wird. Im Gegenteil: das starre Stehenbleiben ist eine evolutionär begründete, sinnvolle Verhaltensweise. Denn der heutige Hausesel stammt vom Afrikanischen Wildesel ab, der seit Urzeiten in den bergig-gerölligen Wüstengrenzregionen Nordafrikas lebt. Dort sind Langsamkeit, Vorsicht und manchmal eben auch ein stures Verharren die besten Vorsichtsmaßnahmen, abrupte Bewegungen und schnelles Davonlaufen in Stress- und Gefahrensituationen hingegen das Schlechteste, was ein Esel tun kann. Denn auf dem steinigen Untergrund ist die Gefahr, sich die Beine zu brechen, sehr hoch. Wird der Esel gezogen und geschlagen, dann verschlimmert sich für ihn die Stresssituation umso mehr und er bleibt erst recht beharrlich dort stehen, wo er eben steht. „Dass Hausesel nicht durchbrennen wie Hauspferde und im Notfall stehenbleiben, heißt übrigens nicht, dass sie ihren Angreifern notgedrungen zum Opfer fallen. Schon die zoologischen Schriften der Antike und später der Renaissance berichten von Eseln, die Bären und Wölfe mit Huftritten und Bissen in die Flucht schlugen“, schreibt dazu die Kulturwissenschaftlerin Jutta Person in ihrem Buch „Esel. Ein Porträt“.

Issac Israëls: Two Donkeys (um 1900). Rijksmuseum, Amsterdam
Issac Israëls: Two Donkeys (um 1900). Rijksmuseum, Amsterdam

Jutta Persons Buch, das in der Reihe „Naturkunden“ des Verlages Matthes & Seitz herausgekommen ist, bringt auf 147 Seiten eine detailreiche und auch sehr lesenswerte Würdigung des oft verkannten Tieres. Natürlich kommt die Autorin nicht umhin, sich zunächst einmal mit den vielen negativen Zuschreibungen auseinanderzusetzen, die mit dem Esel verbunden sind. „Was hat ihn bloß so ruiniert?“ nennt sie das entsprechende Kapitel, in dem sie erläutert, dass das Dummheitsklischee nicht nur mit dem evolutionär bedingten „Stehenbleiber-Mechanismus“ zusammenhängt, sondern sehr wesentlich auch mit dem Aussehen des Esels – genauer gesagt: mit seiner Kopfform und mit seinen langen Ohren: „Denn wie alle auffällig geformten, irgendwie aus der Reihe tanzenden Organe wurde auch das lange Ohr eher argwöhnisch als wohlwollend betrachtet. Jahrhundertelang waren die Narrenkappen mit Eselsohren ausstaffiert. Langohrigkeit ist, quer durch das Tier- und Menschenreich, ein Problem. Das gute Gehör der Langohrigen mutierte zum Zeichen der Dummheit und Furchtsamkeit; Angreifer stellte man sich anders vor, jedenfalls nicht mit langen, im Wind flatternden Ohren.“

Mensch-Esel-Vergleich aus Giambattista della Portas „De humana physiognomonia“ (1586)
Mensch-Esel-Vergleich aus Giambattista della Portas „De humana physiognomonia“ (1586)

Vergleiche zwischen Menschen- und Eselköpfen waren seit der Antike auch Thema der Physiognomik, also jener Lehre, die meint, aus Form und besonderen Merkmalen des Körpers – vor allem des Kopfes – auf intellektuelle Fähigkeiten und Charaktereigenschaften schließen zu können. Der Esel musste dabei, wie Jutta Person an einer Reihe von anschaulich illustrierten Beispielen aufzeigt, stets als negatives Beispiel herhalten. Die Eselsklischees wurden dann auch auf jene Menschen übertragen, bei deren Kopfform man eine Ähnlichkeit mit dem Tierkopf sehen wollte. Besonders einflussreich war das 1586 veröffentlichte Buch „De humana physiognomonia“ des neapolitanischen Arztes Giambattista della Porta. Das umfangreiche Werk, das bis ins 18. Jahrhundert richtungsweisend für physiognomische Studien blieb, war mit zahlreichen Illustrationen und den entsprechenden Erläuterungen ausgestattet. Menschen, deren Profil an das eines Adlers erinnert, seien, so della Porta, ehrgeizig und kriegerisch, Menschen mit löwenähnlichem Haupt beurteilte er – wie wohl zu erwarten war – als majestätisch und furchtlos. Der Mensch-Esel-Vergleich aber, taucht, so Jutta Person, „immer dann auf, wenn es um törichte, dumme und stumpfsinnige Menschen geht. Menschen mit großen Ohren ähneln dem Esel und haben, schreibt della Porta unter Berufung auf Aristoteles, einen Eselsverstand.“

Glücklicherweise hat Jutta Person für ihr Buch auch einige Fans des Langohren gefunden. Unter anderem in einer Eselsfarm auf der Schwäbischen Alb, die Person ein Kapitel lang besucht. Auf einen anderen Eselsfreund ist sie über die Kunst- und Literaturgeschichte gekommen und hat dabei einen kuriosen und weithin unbekannten Roman entdeckt. Das Werk trägt – wie könnte es in diesem Zusammenhang anders sein – den Titel „Eselsgeschichte“. Der Autor ist Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, also jener Maler, der vor allem durch sein Bild „Goethe in der Campagna“ in Erinnerung geblieben ist. In die Campagna schickte Tischbein aber auch den Helden seines Künstlerromans, den „Schwachmatikus“, einen naiv-schwärmerischen, etwas schrulligen und sehr sympathischen jungen Mann, dessen bester Reisegefährte ein Esel ist. Tischbein verarbeitete in der „Eselsgeschichte“, die er um 1812 gemeinsam mit der Schriftstellerin Henriette Hermes verfasste, auch eigene Italienerlebnisse, und er stattete das Werk mit einer Reihe den Text illustrierender Eselsbilder aus. Die „Eselsgeschichte“ ist damit, so Jutta Person, fast eine „frühe Graphic Novel“.

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829): Der Schwachmatikus in der Campagna
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829): Der Schwachmatikus in der Campagna

Den Abschluss von Jutta Persons Buch bilden elf Esel-Portraits. Jeweils auf einer Doppelseite werden da die wichtigsten Eselrassen vorgestellt: mit Bild und mit den entsprechenden Angaben zu Geschichte, Verbreitung, Größe und vielem mehr. Davor formuliert Person aber noch eine eigene Beschreibung des Esels – und die fällt durchaus tröstlich für ihren Titelhelden aus: „Er wird nicht als bester Freund an der Leine vorgeführt, er endet nicht als Schlachtvieh (wenn man von seltener Eselsalami absieht), er kann sein Fell für sich behalten, und er muss keine Dressurakte mit Steppschritten und geflochtener Mähne über sich ergehen lassen. Seine Dummheit hat sich als Klugheit erwiesen. Sein Eigensinn als trickreiche Eleganz. Als sanftmütiger König ist er unschlagbar.“

Jutta Person: Esel. Ein Porträt. Verlag Matthes & Seitz, Berlin.

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