DAS LICHT VON TEMESWAR

„Lass dein Licht leuchten“ lautet das Motto, das Timișoara für seinen Status als Europäische Kulturhauptstadt 2023 wählte. Und es ist ein Motto, das für die drittgrößte Stadt Rumäniens, deren deutscher Name Temeswar lautet, perfekt passt. Denn dieses ganz besondere Licht fällt als erstes auf, wenn man über die Plätze, durch die Straßen und Gassen geht. Wahrscheinlich ist es auch dieses Licht, das in eine ganz besondere, zum Großteil nostalgische Stimmung versetzt.

Temeswar war in den Weltkriegen von Zerstörungen weitgehend verschont geblieben, wirkt also architektonisch immer noch wie „österreich-ungarische Monarchie pur“: Einfache einstöckige Häuser sind da zu sehen, prunkvolle Paläste, elegante Bürgerhäuser, barocke Kirchen und Bauwerke in einem ganz speziellen Jugendstil. Daher wird die Stadt auch oft das „kleine Wien“ genannt. Wobei Wien ungefähr gleich weit von Temeswar entfernt ist wie die rumänische Hauptstadt Bukarest.

Was besonders auffällt, sind diese großen, weiten Plätze. In der warmen Jahreszeit herrscht dort allenthalben reges Treiben. Da ist einmal die Piața Unirii, der Platz der Vereinigung, umgangssprachlich meist Domplatz bezeichnet, mit dem nach Plänen des Barockarchitekten Joseph Emanuel Fischer von Erlach Mitte des 18. Jahrhunderts erbauten Dom, mit der vis-à-vis gelegenen Serbisch-Orthodoxen Kathedrale gleich neben dem Serbischen Palast und dem eklektizistisch-bunten Haus Brück.

Dann die Piața Victoriei, der Siegesplatz, mit dem 1871–1875 nach Plänen des auf Theaterbauten spezialisierten Wiener Architektenduos Hermann Helmer und Ferdinand Fellner errichteten Opernhaus, dem man den in den 1930er Jahren erfolgten Fassadenumbau, beeinflusst vom Monumentalstil des italienischen Faschismus, sofort ansieht.

Und dann ist da noch der weite Freiheitsplatz, die Piaţa Libertăţii, auf dem – auch durch das in konzentrischen Kreisen geordnete rot-graue Pflaster – seine ehemalige Funktion als Paradeplatz deutlich erkennbar ist.

Auf dem Domplatz sticht vor allem das Miksa-Steiner-Palais hervor: Ursprünglich war es ein Barockbau, seine heutige Form aber erhielt es 1901/1902 durch die Budapester Jugendstilarchitekten Marcell Komor und Dezső Jakab. Die Fassade erinnert mit ihren Wölbungen an Werke des spanischen Architekten Antoni Gaudí, die Zsolnay-Keramik am Bau kommt aus Ungarn.

Man lässt das also alles auf sich wirken und hört diese wunderschöne Sprache: So heißt die Stadt in der rumänischen Landessprache „Timișoara“, ausgesprochen „Timischoara“. Man spricht hier aber auch ungarisch und deutsch – und so teilen sich Rumänisch-, Ungarisch- und Deutschsprechende das Nationaltheater und das Opernhaus, im Dom wird die Sonntagsmesse in rumänischer, deutscher und ungarischer Sprache gelesen. Das erzählt der Guide in deutscher Sprache. Er ist hauptberuflich – das merkt man bald – Schauspieler. So vermag er bei seinem Stadtrundgang durchaus zu fesseln, vor allem dann, wenn es um Temeswar als den Ausgangspunkt der Revolution in Rumänien im Dezember 1989 geht.

Wenn da auch vom multikulturellen Temeswar die Rede ist, in dem Rumänen, Ungarn, Deutsche, Serben, Bulgaren und Juden zusammenleben, so findet in der Altstadt jüdisches Leben in der Synagoge statt, und im östlich gelegenen Stadtteil Fabric war es in vergangenen Zeiten besonders präsent. Heute kann man die Pracht jener Zeit nur mehr erahnen, an manchen Gebäuden, die schon renoviert sind, offenbart sie sich aber wieder. Auch in diesem Stadtteil gibt es ein nach dem jüdischen Unternehmer Miksa Steiner benanntes Palais, dieses mit einer besonders prächtigen Fassade, aus der ein Schiffsbug hervorragt.

Die Innenstadt Temeswars ist durchaus zu Fuß in allen Richtungen zu durchqueren, und beim Flanieren entdeckt man zahlreiche Statuen und Denkmäler. Sogar ein „Stock im Eisen“, also ein über und über mit Nägeln beschlagener alter Baumstock, wie man ihn auch vom Wiener Stephansplatz her kennt, ist zu finden. Schaut man auf den Boden, sind dort auf den Plätzen Platten eingelassen, die auf Geschichtliches hinweisen, so zum Beispiel auf Spuren eines türkischen Bades, das sich auf dem Freiheitsplatz befand.

Lange bleiben einem die Bilder dieser schönen Stadt im Gedächtnis, und auch wenn man als Tourist vielleicht vieles idyllisiert, so bekommt man doch ein Gefühl dafür, wie vielleicht einst in der österreichisch-ungarischen Monarchie Städte ausgesehen haben.

23.9.2023. Alle Fotos © K. Holzer

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