DER TRAUM VON ARKADIEN

Sie gehören – neben den gotischen Kathedralen – wohl zu den bedeutendsten Kunstwerken, die England je hervorgebracht hat. Die Rede ist von den englischen Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts. Ihnen wird sowohl von der Wissenschaft als auch von den Besucherinnen und Besuchern immer mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht. Keine andere Kunstgattung könne man so, an der frischen Luft spazierend, mit angeregten Gesprächen verbinden, meint der Autor Tim Richardson in der Einleitung zu seinem Buch „Englische Landschaftsgärten. Der Traum von Arkadien“.

Richardson, ein Historiker mit den Spezialgebieten Garten und Kunst, ist der Meinung, dass ein Landschaftsgarten einer riesigen, begehbaren Kunstinstallation gleiche, die einem lange, lange in ihren Bann ziehen könne. Für all jene, die über entspanntes Erleben hinaus auch einiges über die Geschichte erfahren möchten und was die Auftragsgeber*innen und Gestalter*innen mit diesen Anlagen sagen wollten, schrieb er dieses Buch. Zunächst wird darin der Begriff „Englischer Landschaftsgarten“ geklärt. Diese Gartenform hat sich aus der formal eher strengen barocken Tradition mit ihren Statuen und Brunnen hin zu dem jetzt bekannten Bild von sanften Wiesen, gewundenen Flüssen und Baumgruppen entwickelt. „Lesbare Orte“ wollten ihre Besitzer*innen schaffen, „wirkmächtige Embleme der persönlichen Überzeugung“, aber auch Bekundungen ihrer Stellung in der Gesellschaft sollten diese Gärten sein.

Studley Royal, North Yorkshire, Wassergarten (Foto: 
 © Clive Boursnell, aus: Englische Landschaftsgärten, Gerstenberg Verlag 2025)
Studley Royal, North Yorkshire, Wassergarten (alle Fotos: © Clive Boursnell, aus: Englische Landschaftsgärten, Gerstenberg Verlag 2025)

Tim Richardson macht als Autor in seinem Buch den gestalterischen Plan hinter all den sonnigen Lichtungen, glitzernden Flüssen und Rasenflächen erkennbar. Diese Traumlandschaften bildet dann der auf Garten, Architektur und Landschaften spezialisierte Fotograf Clive Boursnell ab: Spazier- und Reitwege, Brücken, Tempel, Ruinen, Türkische Zelte und Chinesische Lauben sind auf seinen Fotos dekorativ ins satte Grün gesetzt. Diese Bilder sind die optische Sensation des Buches, sie sind so schön, dass man sich nur mit Mühe von ihnen trennt und den Erklärungen des Autors folgt, der einem die Geheimnisse des so offensichtlich Schönen offenbart. Er hat die Biografien der Besitzer aus dem 18. Jahrhundert studiert, ihre politischen Ansichten und auch die künstlerischen Interessen, bringt einem so deren Gedankenwelt näher, warum sie mit „schierer Willenskraft und Unsummen von Geld“ all das errichten ließen.

Painshill, Surrey, Blick über die Brücke zum Gotischen Tempel
Painshill, Surrey, Blick über die Brücke zum Gotischen Tempel

Zwanzig solcher Gärten stellt  Richardson in seinem Buch vor. Castle Howard in North Yorkshire steht am Beginn: Ein unglaublich pompöser Landsitz, das Innere von einer „geradezu aggressiven Opulenz“ mit einer Tempelanlage, die eine Meisterleistung darstellt. Sein Erbauer, ein ehrgeizige Politiker, war nicht von Adel, aber schlau und verdiente so ein Drittel seines Einkommens mit dem Kartenspiel. Er war einer von denen, die – einfach um sich zu beweisen – historisch funktionierende Dörfer zerstörten und sie durch protzige Domizile und menschenleere Landschaftsgärten ersetzten.

Man merkt: der Autor kennt auch die Kehrseite der Medaille. Bevor er sich an die detaillierte Beschreibung des Anwesens macht, präsentiert er einen kleinen Plan, einfach, um zu erklären, wo man sich da bewegt. Richardson hat die Haushaltsbücher studiert, weiß also, wann die diversen Mauern gesetzt, wann Statuen errichtet und wann Entwässerungsgräben angelegt wurden, er schreibt aber auch von einer „episch-mythischen Ebene“, in der man „den Hauch der Unendlichkeit spürt“.

Storehead, Wiltshire, Apollotempel (Foto © Clive Boursnell, aus: Englische Landschaftsgärten, Gerstenberg Verlag 2025)
Storehead, Wiltshire, Apollotempel

So führt er durch die Gärten, er hat ein immenses einschlägiges Wissen, egal ob es Details aus den Biografien der Besitzer betrifft oder aber wann welche Statuen wohin gesetzt wurden. Und er hat Stil, bei aller britischen Zurückhaltung kann er die Schönheit dieser Landschaftsgärten vermitteln: „Ein silbrig grauer Tempel auf grünem Rasen, davor ausgebreitet spiegelndes Wasser, die ganze Szene in Wald gehüllt und von einer eleganten Bogenbrücke gerahmt.“

Buchcover

Tim Richardson: Englische Landschaftsgärten. Der Traum von Arkadien. Aus dem Englischen übersetzt von Anke Albrecht. Fotografien von Clive Boursnell. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2025.

16.10.2025

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