DIE FASZINATION DER OBSTGÄRTEN

Apfelblüte (Foto: Jörg Hempel / Wikimedia Creative Commons)
Apfelblüte (Foto: Jörg Hempel / Wikimedia Creative Commons)

Obstgärten sind für Bernd Brunner eine Bühne. Der Berliner Kulturwissenschaftler versteht sie als eine Bühne, „auf der jeweils ein bestimmtes Verhältnis von Obstbäumen und Gärtner in Szene gesetzt wird.“ Was an seinem Buch „Von der Kunst, die Früchte zu zähmen. Eine Kulturgeschichte des Obstgartens“ gleich einmal auffällt, ist, dass Brunner eine bei Sachbuchautoren deutscher Sprache seltene Fähigkeit besitze – nämlich, alle Informationen wohltuend plaudernd darzulegen, ohne dabei oberflächlich zu sein.

Er beginnt seine Kulturgeschichte im Jordantal, wo neben steinernen Werkzeugen auch Fruchtreste von Pistazien, Eicheln, Mandeln und Wasserkastanien gefunden wurden: „Das Alter dieser Fruchtreste wurde auf etwa 300.000 Jahre bestimmt, das heißt, dass bereits unsere frühen Vorfahren Früchte gesammelt und verarbeitet haben.“ Brunner meint, „dass Früchte bei der Evolution eine viel wichtigere Rolle gespielt haben, als man das bisher angenommen hatte“. Und so verfolgt er das Verhältnis zwischen Menschen und Obstbäumen durch die Zeiten hindurch, wie einerseits das Leben der Menschen durch schmackhafte Früchte bereichert wurde und sich andererseits die Pflanzen durch das Eingreifen der Menschen veränderten. Unter dem Titel „Im Rascheln der Palmenblätter“ erzählt er von den Anfängen in den Oasen, setzt fort mit frühen Zierobstgärten, der Zähmung des Apfels, den antiken Bemühungen um Feigen, Wein und Oliven, berichtet von Klostergärten und den Küchen- und Obstgärten der französischen Könige und erläutert, wie sich die Obstgärten immer mehr auch im Norden verbreiteten. Dazwischen widmet er sich der Pomologie, also der Wissenschaft vom Fruchtanbau, träumt sich in die Obstgärten der Sinne der Impressionisten, um dann in der Massenproduktion der Jetztzeit wieder aufzuwachen. Und er endet mit der Hoffnung, dass die Gärten sowohl als altes Natur- wie auch als Kulturgut wiederentdeckt werden. Das alles ist wohltuend informativ geschrieben und wird von den passenden Illustrationen fast noch übertroffen.

Buchcovers

Auch im Essayband „Gehen. Träumen. Sehen. Unter Bäumen“ der deutschen Schriftstellerin Ursula Krechel geht es unter anderem um Lebensläufe von Menschen, die mit Gärten, mit Obstbäumen zu tun haben. Da ist etwa der bayrische Priester Korbinian Aigner (1888–1966), von dem auch Bernd Brunner in seinem Kapitel über die Pomologie schreibt und der als „der Apfelpfarrer“ bekannt ist. Krechel berichtet darüber, wie Aigner auch im KZ Dachau, wo er aufgrund seiner hitlerfeindlichen Predigten interniert war, Apfelbäume züchtete – und sie denkt in diesem Zusammenhang über Martin Luthers Spruch nach: „Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich noch heute mein Apfelbäumchen pflanzen.“ Aigner, so ist auch zu erfahren, ist in die pomologische Geschichte deswegen eingegangen, weil er über 600 Apfelsorten und fast 300 Birnensorten bestimmt und gemalt hat. Es ist ein ganz besonderes Vergnügen, davon zu lesen, wie er gemalt hat, Krechel hat die Worte dafür, einen in diese Stimmung des ruhigen, genauen Malens hineinzuziehen.

In einem anderen Essay, das den Titel „Denn die Bäume werden bescheiden“ trägt, geht Krechel mit dem Lyriker Michael Hamburger (1924–2007) durch das Gelände. „Es ist einerseits ein Garten, andererseits eine Streuobstwiese, aber hier wird nicht gestreut, sondern sorgsam gepflegt und gehütet und aufgelesen.“ Ein „Natur-Antiquariat“ sei dieser Garten, in dem lauter Apfelsorten leben, die andernorts längst ausgestorben sind. Genau beschreibt sie, wie Hamburger einen Apfel in die Hand nimmt. Und sofort ist man mit ihr dort, in dem alten Garten im englischen Sussex. Sie schreibt von „Baumphilologie im Natur-Antiquariat“ – und man meint zu spüren, was die Anziehungskraft so eines Obstgartens ausmacht.

Bernd Brunner: Von der Kunst, die Früchte zu zähmen. Eine Kulturgeschichte des Obstgartens. Knesebeck Verlag, München 2022.
Ursula Krechel: Gehen. Träumen. Sehen. Unter Bäumen. Essays. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2022.

3.4.2022

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