DIE ZEDER: HOCHGESCHÄTZT UND VIELGEPRIESEN

Wohl kaum einem anderen Baum kommt seit Jahrhunderten und Jahrtausenden eine derart hohe Wertschätzung zu wie der Zeder. Schon in einer der weltweit ältesten schriftlich überlieferten Dichtungen, dem vor rund viertausend Jahren entstandenen altbabylonischen Gilgamesch-Epos, ist ein Zedernwald ein zentraler Schauplatz; auf hethitischen Tontafeln und ägyptischen Papyri ist die Zeder ebenso zu finden wie in der Bibel, wo sie, mit rund siebzig Erwähnungen im Alten Testament, häufiger als jede andere Baumart vorkommt. So etwa soll der unter König Salomon in Jerusalem errichtete Tempel im Inneren aufwendig mit einer „Zedernverkleidung mit eingeschnitzten Blumengewinden und Blütenranken“ vertäfelt gewesen sein: „Alles war aus Zedernholz, kein Stein war zu sehen“ (1. Buch der Könige, 6.18). Aus dem Holz des zur Familie der Kieferngewächse gehörenden Baumes bauten einst die als Seefahrer berühmten Phönizier ihre Schiffe; Kultgegenstände wurden daraus ebenso gefertigt wie kostbare Möbel; und bis heute verleiht ein Anteil von Zedernholz Harfen einen besonderen Klang.

James Ward: Zeder auf einer Anhöhe mit einer Hirschgruppe in ihrem Schatten, 1814
James Ward: Zeder auf einer Anhöhe mit einer Gruppe von Hirschen in ihrem Schatten, 1814 (Yale Center for British Art, New Haven, Connecticut)

Die Botaniker unterscheiden vier nahe miteinander verwandte Arten von Zedern, die nach ihren Ursprungsgebieten benannt sind: die aus dem algerischen und marokkanischen Atlas-Gebirge stammende Atlas-Zeder; die Himalaya-Zeder; die Zypern-Zeder – und als die wohl berühmteste Art – die Libanon-Zeder, die auch im Zentrum der Flagge und des Wappens des Staates Libanon abgebildet ist. Der aus dem Libanon stammende Dichter Khalil Gibran (1883–1931) würdigt die Zeder in seinem Buch „Al-Ajniḥa al-mutakassira“ („Gebrochene Flügel“, Erstpublikation New York 1912) folgendermaßen: „Die Neigungen des Herzens sind verzweigt wie die Äste einer Zeder. Verliert der Baum einen starken Ast, so wird er leiden, aber nicht sterben. Er wird all seine Lebenskraft in den nächsten Ast fließen lassen, auf dass dieser wachse und die Lücke ausfülle.“

Edward Lear: Die Zedern des Libanon, 1858.
Edward Lear: Die Zedern des Libanon, 1858 (Victoria & Albert Museum, London)

Wegen des so begehrten Holzes sind die Zedernwälder des Libanon seit jeher von Kahlschlag bedroht. Bereits in dem schon erwähnten Gilgamesch-Epos wird von einem brutalen Raubbau berichtet: König Gilgamesch und sein Begleiter Enkidu dringen in den Zedernwald ein, töten Humbaba, den Wächter des Waldes, und fällen die Zedern, deren „Schatten so wonnig, reich an Erquickung“ war. Den mythischen Waldschändern folgten im Lauf der Jahrtausende zahllose reale, sodass von der ursprünglichen Waldfläche, die mit rund 500.000 Hektar veranschlagt wird, heute nur noch 2.000 Hektar übrig sind. Mittlerweile steht die Libanon-Zeder auf der Roten Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion IUCN.

Francis Frith: Die größte Zeder des Libanon, 1857. Fotografie (Metropolitan Museum of Art, New York)
Francis Frith: Die größte Zeder des Libanon, 1857. Fotografie (Metropolitan Museum of Art, New York)

Einer, der eine ganz besondere Beziehung zur Zeder hat, ist Bruder Hieronymus, Mönch und Gärtner im Schweizer Kloster Disentis. Unterstützt von der italienischen Harfenistin Signora Elisa hat er eine riesige Sammlung zum Thema Zeder zusammengetragen: „Bücher und Fotos, Artefakte, Anekdoten und manchmal Dinge, die nichts als kühne Wünsche angesichts einer Zeder gewesen sein mögen.“ Allerdings ist Hieronymus, als der Erzähler in dem Buch „Die Reise zu den Zedern. Aufzeichnungen eines Klostergärtners“ eine fiktive Figur – ebenso wie Signora Elisa. Hinter den beiden verbergen sich der Schweizer Schriftsteller Iso Camartin und die Juristin und Publizistin Verena Füllemann. Füllemann, so erfährt man aus der einleitenden Anmerkung, „initiierte dieses Buch, recherchierte während fünf Jahren und suchte die Bilder“, Camartin verfasste den über 300 Buchseiten umfassenden Text. Die Aufgabenaufteilung war also offenbar ähnlich wie bei Signora Elisa und Bruder Hieronymus, und eigentlich hätte es dieser beiden Figuren, die ohnehin nur selten auftauchen, absolut nicht bedurft. Denn was Hieronymus/Camartin mit seinen Aufzeichnungen vorlegt, ist ein hervorragender Sachbuchtext. Geografisch gegliedert in „Zederngeschichten“ aus dem Norden, dem Westen, dem Süden und dem Osten wird mit vielen Beispielen dargelegt, wo und in welcher Form Zedern zu finden sind – so etwa, ab dem 17. Jahrhundert, als Prunkstücke in vielen europäischen Parkanlagen, oder in Form von Vertäfelungen in Repräsentationsräumen, wie etwa im „Zedernzimmer“ des Stadtschlosses in Weimar. Zu erfahren ist vieles über die mythologischen, theologischen und symbolischen Zusammenhänge, in denen die Zeder steht, und darüber, wie dieser Baum in vielfacher Weise in der Malerei, der bildenden Kunst, der Literatur und auch in der Musik zu finden ist.

Gerriet Postma: 1736 gepflanzte Zeder aus dem Jardin des Plantes in Paris, 1858 (Rijksmuseum Amsterdam).
Gerriet Postma: 1736 gepflanzte Zeder aus dem Jardin des Plantes in Paris, 1858 (Rijksmuseum, Amsterdam)

„Die Reise zu den Zedern“ ist ein hochinteressantes und sehr lesenswertes Buch – auch dann, wenn man nicht speziell an Zedern interessiert ist. Denn so wie sich die Äste der Zedern verzweigen, finden sich in all den „Zederngeschichten“ zahlreiche Verweise auf geschichtliche Zusammenhänge, kulturhistorische Details, geografisch Wissens- und botanisch Bemerkenswertes und noch vieles mehr, das durchaus auch Lust auf eigene weitere Recherchen macht.

Iso Camartin und Verena Füllemann: Die Reise zu den Zedern. Aufzeichnungen eines Klostergärtners. Verlag Desertina, Chur 2019.

20.2.2020

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