O TANNENBAUM? O TANNENBAUM!

Numidische Tanne, Abbildung aus der Zeitschrift „Flore des serres et des jardins de l’Europe“, Bd. 17. Hg. Louis van Houtte, Gent 1845
Numidische Tanne, Abbildung aus der Zeitschrift „Flore des serres et des jardins de l’Europe“, Bd. 17, hg. v. Louis van Houtte, Gent 1845

Was eine Tanne ist, meint man zu wissen – und allenthalben erklingt zur Weihnachtszeit das so populäre Lied „O Tannenbaum“. Daher ist man wohl irritiert, wenn man liest, dass gerade dieser Baum zwar sehr geschätzt werde, aber dennoch weitgehend unbekannt sei. Behauptet wird dies von Wilhelm Bode, der für die „Naturkunden“-Reihe des Verlages Matthes & Seitz den Band „Tannen“ verfasst hat. Wie wenig wir über die Tanne wissen, zeige sich, so der Diplom-Forstwirt, zum Beispiel beim Thema Tannenzapfen: Kinder werden aufgefordert, diese im Wald zu sammeln, um damit zu basteln, „Schwarzwald-Reiseführer ermuntern gar zum ‚Burgenbauen mit Tannenzapfen‘“, und die deutsche Biermarke „Tannenzäpfle“ zeigt auf dem Flaschenetikett den Zweig eines Nadelbaumes mit herabhängenden Zapfen (Bode, S. 19). Tannenzapfen, könnte man meinen. Falsch: es sind Fichtenzapfen – genauso wie jene Zapfen, die man im Wald finden und mit denen man basteln oder eben auch Burgen bauen kann. Denn „die Zapfen der Tanne liegen nicht auf dem Waldboden herum, sie zerfallen vielmehr auf dem Zweig“ und „hinterlassen lediglich eine gerupfte Spindel, die nichts mehr mit einem Zapfen gemeinsam hat“ (Bode, S. 20). Diese Spindel fällt auch nicht vom Baum, sondern zersetzt sich auf dem Zweig.

Aquarell von Margarete Schrödter. Aus: Ludwig Klein, Unsere Waldbäume, Sträucher und Zwergholzgewächse. Heidelberg 1910.
Aquarell von Margarete Schrödter. Aus: Ludwig Klein, Unsere Waldbäume, Sträucher und Zwergholzgewächse. Heidelberg 1910.

Tannenzapfen bekommt man also selten zu sehen, auch deshalb, weil sie sich hoch oben im Baum befinden (und zwar, im Gegensatz zu den herabhängenden Fichtenzapfen, aufrecht auf den Ästen stehend). Dennoch werden sie vielfach als Synonym für alle Arten von Baumzapfen verwendet, und sogar die eigentlich unverwechselbaren Kiefernzapfen – auch „Bockerl“ genannt – werden im Bastel- und Deko-Fachhandel vielfach als Tannenzapfen angeboten.

Oft werden Tannen mit Fichten verwechselt, weshalb die Fichte mancherorts auch als „Rottanne“ bezeichnet wird. Zu unterscheiden sind die beiden Nadelbäume aber nicht nur durch die Zapfen, sondern auch durch ihre Nadeln: die der Tanne sind weich und flach, jene der Fichte vierkantig und stachelig. Daher auch der Merkspruch: „Die Fichte sticht, die Tanne nicht“. Alte Tannen haben außerdem eine charakteristische Silhouette durch ihre abgeflachte „Storchennestkrone“, während Fichten spitzkronig sind.

Tanne, gezeichnet von Ernst Heyn. Aus: E.A. Roßmäßler, Der Wald. Leipzig & Heidelberg 1881.
Tanne, gezeichnet von Ernst Heyn. Aus: E.A. Roßmäßler, Der Wald. Leipzig & Heidelberg 1881. Gut zu erkennen ist hier die abgeflachte Krone des mächtigen Baumes.

Die hohe Wertschätzung, die der, wie sie Bode nennt, „geliebten Unbekannten“ zukommt, rührt wohl daher, dass die Tanne – und zwar in Form der Weißtanne (botanischer Name Abies alba) – seit jeher die prägende Nadelbaumart der europäischen Gebirgswälder war. Tannen wachsen langsam und sie können, so man sie lässt, uralt werden, nämlich bis zu 500 Jahre (und manche schaffen es sogar noch ein wenig länger). Aber nicht nur aufgrund ihrer Langlebigkeit gehören sie zu den Rekordhaltern im Wald, sondern auch wegen ihrer Größe. Denn mit bis zu 60 Metern Höhe überragen sie alles ringsum.

Hans Thoma: Schwarzwaldtannen (auch: Wald mit Beerenleserinnen), 1884. Wikimedia Commons.
Hans Thoma: Schwarzwaldtannen (auch: Wald mit Beerenleserinnen), 1884. Abb. Wikimedia Commons.

Eines der Kapitel seines Buches nennt Wilhelm Bode „Fast ein Nachruf“. Denn vielerorts ist die Tanne kaum mehr in den Wäldern zu finden. Es sind vor allem ökonomische Ursachen, die dazu führten. So etwa der sogenannte Holländerholzhandel, der zum massiven Raubbau am Tannenbestand des Schwarzwalds führte. Denn aus dieser tannenreichsten Region Deutschlands wurden im Verlauf des 18. Jahrhunderts riesige Mengen von Holzstämmen über die lokalen Flüsse und den Rhein in die Niederlande geflößt. Dort wurden sie, so Wilhelm Bode, „zum Bau der Übersee-Handelsschiffe und für den Städtebau dringend benötigt. Amsterdam steht heute noch auf Tausenden Pfählen aus Schwarzwaldtannen von damals im sumpfigen Untergrund, und die Grachten sind teilweise noch immer mit Schwarzwälder Tannenholz verkleidet“ (Bode, S. 47). Für das Verschwinden der Tanne sorgte aber auch eine verfehlte Waldwirtschaft und das großflächige, monokulturelle Anpflanzen von – schnelleren Gewinn verheißenden – Fichten, was, wie sich allerdings erst nach einiger Zeit und oft zu spät zeigte, teilweise verheerende Umweltfolgen hatte.

Erfreulicherweise ortet Wilhelm Bode aber auch ein allmähliches Umdenken. Immerhin ist die Tanne „gerade mit Blick auf den Klimawandel der Nadelbaum der Zukunft ­– ist sie doch in regenarmen Sommern im Schatten des Waldinneren bemerkenswert trockenresistent“. Im Rahmen einer ökologisch orientierten Waldwirtschaft kommt der Tanne wieder der ihr gebührende Platz zu, und sie könnte sogar, so meint Bode, „zur Baum-Ikone für eine global verantwortliche Umweltpolitik und zum Emblem eines anderen Umgangs mit dem Wald werden“ (Bode, S. 22).

Franz Krüger: Vorweihnacht, 1. Hälfte d. 19. Jhdts. Wikipedia
Franz Krüger: Vorweihnacht, 1. Hälfte d. 19. Jhdts. Abb. Wikipedia

Beruhigen kann Wilhelm Bode all jene, die nun vielleicht Bedenken haben, sich eine Nordmanntanne als Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer zu holen. Doch das hat keinen Einfluss auf die Tannenbestände in den Wäldern, weil die Nordmanntannen in speziellen Plantagen gezogen werden und dabei „landschaftsökologisch viel weniger belastend sind“ als etwa der industrialisierte Ackerbau (Bode, S. 82). Der Baum ist übrigens nicht, wie oft vermutet wird, nach seiner Herkunft benannt (obwohl es vor allem in Dänemark viele Nordmanntannen-Plantagen gibt), sondern nach dem finnischen Biologen Alexander von Nordmann. Er hatte Mitte des 19. Jahrhunderts die im Kaukasus heimische Tannenart als erster wissenschaftlich beschrieben. Seit den 1970er Jahren ist die Nordmann-Tanne der europaweit beliebteste Weihnachtsbaum. Das „O Tannenbaum“ passt hier somit wieder, nachdem damit lange Zeit meist eine Fichte besungen wurde.

Zur Geschichte des beliebten Weihnachtsliedes weiß Wilhelm Bode einiges zu erzählen: So etwa, dass das „O Tannenbaum“ ursprünglich nichts mit Weihnachten zu tun hatte und dass die Melodie nicht nur in Studentenliedern zu finden ist, sondern auch in den Hymnen der US-amerikanischen Bundesstaaten Florida, Iowa, Maryland und Michigan verwendet wird. Auch die Kulturgeschichte des Weihnachtsbaumes ist ein Thema in dem 156-Seiten starken Buch. Außerdem finden sich darin Verweise auf literarische Werke, zahlreiche Illustrationen und, in einem eigenen Abschnitt, genaue Beschreibungen der verschiedenen Tannenarten ­– von der Weißtanne über die Spanische und die Griechische Tanne bis zur Kolorado-Tanne. Fazit: Ein hochinteressanter und sehr lesenswerter Band!

Bode, Wilhelm: Tannen. Ein Porträt. Naturkunden No. 67, Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2020.

11.12.2020

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