DIE BLAUEN PFERDE DES FRANZ MARC

Es sind die ganz spezielle Farbgebung und vor allem auch die Motivwahl, die kennzeichnend für das Werk von Franz Marc sind. Denn Marc, der einer der bedeutendsten Künstler des Expressionismus war, malte vor allem Tiere – und zwar bevorzugt Pferde.

Links: Marc, Blaues Pferd I. 1911. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München (Creative Commons CC0 1.0) / Mitte: Marc, Blaues Pferd II. 1911 (Wikimedia Commons, public domain) / Rechts: Marc, Die blauen Fohlen. 1913 (Wikimedia Commons, public domain).

„Gibt es für Künstler eine geheimnisvollere Idee als die (…), wie sich wohl die Natur in dem Auge eines Tieres spiegelt? Wie sieht ein Pferd die Welt oder ein Adler, ein Reh oder ein Hund?“ Mit diesen in Biografien des Malers oftmals zitierten Worten legte Franz Marc sein künstlerisches Credo dar. Es sei, so schrieb er, eine „armselige“, „seelenlose“ Konvention, „Tiere in eine Landschaft zu setzen, die unsren Augen zugehört statt uns in die Seele des Tieres zu versenken.“

Denn, so fragt er weiter, was habe etwa „ein Reh mit dem Weltbild zu tun“, wie wir es sehen: „Hat es irgendwelchen vernünftigen oder gar künstlerischen Sinn, das Reh zu malen, wie es unsrer Netzhaut erscheint oder in kubistischer Form, weil wir die Welt kubistisch fühlen? Wer sagt mir, dass das Reh die Welt kubistisch fühlt; es fühlt sie als ‚Reh‘, die Landschaft muss also ‚Reh‘ sein. […] Ich kann ein Bild malen: das Reh. Pisanello hat solche gemalt. Ich kann aber auch ein Bild malen wollen: ‚das Reh fühlt‘. Wie unendlich feinere Sinne muss ein Maler haben, das zu malen!“[1]

Franz Marc: Rehe im Walde II. 1914. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Creative Commons CC0).

Franz Marc wurde am 8. Februar 1880 in München geboren. Nach Schulabschluss und Militärdienst studierte er (wie auch schon sein Vater, der Maler Wilhelm Marc) an der Münchner Akademie der Bildenden Künste. Allerdings schloss er das Studium – enttäuscht vom künstlerischen Konservativismus an der Akademie – nicht ab. Als freischaffender Künstler hatte er allerdings zunächst nur wenig Erfolg, entwickelte aber in jener Zeit seinen ganz eigenen Stil. Entscheidende Anregungen erhielt er dazu bei zwei Reisen nach Paris, wo er sich intensiv mit neuerer Malerei beschäftigte. Besonders beeindruckten ihn dabei die Werke von Vincent van Gogh. Weitere Impulse aus dem Schaffen des Niederländers erhielt er, als er 1909 eine van Gogh-Ausstellung in München sah.

Franz Marc: Katzen auf rotem Tuch. 1909/1910 (Wikimedia Commons, public domain). Das um die Jahreswende 1909/1910 entstandene Katzenbild „markiert mit seiner intensiven Farbigkeit eine erneute Auseinandersetzung mit dem Œuvre van Goghs.“[2]

Die entscheidende Wende in der Karriere von Franz Marc kam 1910/1911. Im Februar 1910 hatte er in der renommierten Münchner Kunsthandlung Brakl seine erste Einzelausstellung, ebenfalls 1910 lernte er den Maler August Macke kennen, mit dem ihn bald eine enge Künstlerfreundschaft verbinden sollte. Über Vermittlung durch Macke kam er in Kontakt mit dem Berliner Industriellen und Kunstsammler Bernhard Koehler, der zu einem wichtigen Mäzen für Marc wurde.

Vor allem aber machte Marc zu jener Zeit eine Bekanntschaft, die nicht nur für ihn selbst, sondern für die gesamte kunstgeschichtliche Entwicklung überaus bedeutsam war – nämlich mit Wassily Kandinsky. Gemeinsam mit ihm gründete er die Künstlergruppe „Der blaue Reiter“, der neben Marc und Kandinsky unter anderem Gabriele Münter, Marianne von Werefkin, August Macke, Paul Klee und Alexej von Jawlensky angehörten. Vor allem durch den 1912 publizierten Almanach „Der blaue Reiter“ wurde diese – eher lose – Vereinigung zum Ausgangspunkt für die künstlerische Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Im Almanach schrieb Franz Marc dazu: „In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als ‚Wilde‘, nicht Organisierte gegen eine alte, organisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich; aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen. Die gefürchteten Waffen der ‚Wilden‘ sind ihre neuen Gedanken; sie töten besser als Stahl und brechen, was für unzerbrechlich galt.“[3]

Franz Marc: Tiger. 1912. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München (Creative Commons CC0 1.0)

Die Gruppe „Der blaue Reiter“ bestand bis 1914, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Franz Marc, der gleich zu Kriegsbeginn zum Militärdienst eingerückt war, wurde am 4. März 1916 in der Nähe von Verdun getötet.

Zu Leben und Werk von Franz Marc gibt es relativ viel Literatur. Nun wurde die Liste um einen weiteren Band ergänzt: „Franz Marc. In fünf Jahren zur Unsterblichkeit“ lautet der Titel des Buches, bei dem es sich um eine Romanbiografie handelt, also um eine Mischung aus Fakten und Fiktion. Wobei – und das ist ein Pluspunkt, der dem Werk zu geben ist – der Autor, Reinhard Lindenhahn, nahe am Faktischen bleibt. Ermöglicht wurde ihm dies dadurch, dass es von Franz Marc einen umfangreichen schriftlichen Nachlass gibt. Marc hat zahlreiche Briefe, auf Privates bezogene Aufzeichnungen und ausführliche Essays zu kunsttheoretischen Fragen hinterlassen. Reinhard Lindenhahn hat dieses Material offenbar sehr genau studiert und hat dann in seinem Text vieles von dem, was in Marc Schriften zu finden ist, in Form von Dialogen umgesetzt. So entwickelt sich die Handlung, die im Wesentlichen auf den Zeitraum zwischen 1909 und 1914 beschränkt ist, zu einem großen Teil aus Gesprächen. Marcs Gesprächspartner*innen sind dabei vor allem seine Ehefrau Maria Franck, August Macke und Wassily Kandinsky. Allerdings hat sich Lindenhahn damit, dass er theoretische Ausführungen (von Marc, aber auch von Kandinsky und anderen) in gesprochene Sprache umsetzt, eine schwierige Aufgabe gestellt. Hin und wieder wirkt der Text dadurch etwas sperrig. Insgesamt aber gelingt es Lindenhahn in hervorragender Weise, die Intentionen und Ambitionen, von denen Franz Marc und dessen Zeitgenoss*innen geleitet waren, in interessanter und lebendiger Form darzulegen.

Reinhard Lindenhahn: Franz Marc. In fünf Jahren zur Unsterblichkeit.
Romanbiografie. Südverlag, Konstanz 2022.

[1] Franz Marc: Schriften. Hg. von Franz Lankheit, Köln 1978. S. 98f.
[2] Katalogtext von Rosel Gollek in: Franz Marc. 1880–1916. 2. Aufl., München 1986. S. 149.
[3] Franz Marc: Schriften. Hg. von Franz Lankheit, Köln 1978. S. 142.

14.1.2022

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