„REZEPT GEGEN REZEPT“

Lilli Nagy ist seit über zwanzig Jahren Betriebsärztin in einigen der renommiertesten Wiener Theater – im Burgtheater, dem Theater in der Josefstadt, den Kammerspielen und im Volkstheater. Da ist es ihr Job, während ihrer Sprechstunden die Wehwehchen der Schauspieler*innen zu behandeln, außerdem hat sie die Einteilung der ärztlichen Dienste für die Vorstellungen zu machen (denn seit dem Brand des Wiener Ringtheaters im Jahr 1881 muss während jeder Theatervorstellung eine Ärztin oder ein Arzt anwesend sein).

Als während der Corona-Pandemie Vorstellungen abgesagt werden mussten und sich die Kontakte auf Telefongespräche beschränkten, erhielt Lilli Nagy auf die Frage, was die Schauspieler*innen denn gerade machten, oft die Antwort: „Kochen!“ Nagy hatte dazu eine Idee: „Ich schreib‘ euch die Rezepte gegen eure Krankheiten und ihr schickt mir im Gegenzug dafür die Rezepte dessen, was ihr so kocht!“ Daraus entstand dann das Buch „My stage ist my kitchen“, das relativ bald vergriffen war, nachdem es vielfach – und auch von „Theater heute“ – positiv rezensiert worden war. Bei Lilli Nagy kam die Lust auf eine Fortsetzung auf, denn, so meint sie: „Es hat schon viel Freude gemacht, die SchauspielerInnen von einer ganz anderen Ecke kennen zu lernen.“

Das neue Buch – Titel „Schnitzel Seitenbühne links“ – sollte ähnlich wie der Vorgängerband, aber doch wieder anders werden. Da werden Fragen gestellt wie: Was macht die Requisite, was machen die Schauspieler*innen mit dem Essen, das auf der Bühne serviert wird? Ist das wirkliches Essen oder ist es aus Plastik? Da werden auch persönliche Erinnerungen erzählt, und oftmals sind die nicht ganz so erfreulich. Denn man muss sich vor Augen halten, dass die Darsteller*innen, das, was sie da auf der Bühne serviert bekommen, mitunter bei 50 Vorstellungen und davor bei 30 Proben mit mehr oder weniger Vergnügen essen müssen. Das ist eine harte Aufgabe, da kann einem schon jeglicher Appetit vergehen.

Durch diese Fragen und Erinnerungen wurde aus dem Band „Schnitzel Seitenbühne links“ nicht ein klassisches Kochbuch, sondern ein „Theatersachbuch“. Der Buchtitel leitet sich übrigens davon ab, dass die Inspizientin oder der Inspizient am Theater den korrekten Ablauf der Aufführung koordiniert und dabei die nötigen Anweisungen gibt, und zwar nicht nur für die Auftritte der Darsteller*innen, sondern auch für die Bereitstellung der Requisiten. Das heißt, wenn etwa im Stück Schnitzel gegessen wird, dann wird das Gericht auf der Seitenbühne vorbereitet, und wenn das auf der linken erfolgt, dann lautet die Anweisung eben: „Schnitzel auf Seitenbühne links!“

Lilli Nagy hat – nachdem sie laut Selbstaussage „wie der Teufel kocht“ – den Großteil der Gerichte auch selbst ausprobiert. Aus der Menge der Rezepte holt sie als Beispiel das Fischrezept von André Pohl heraus, weil es „so vielfältig anzuwenden“ sei.

Lilli Nagy schrieb zu den einzelnen Rezepten kurze Einführungstexte, dann erzählen die Akteur*innen eine Geschichte über die Hintergründe, warum sie gerade ein ganz bestimmtes Rezept ausgesucht haben. Dieses Rezept wurde dann jeweils handschriftlich geliefert. Denn Nagy meint, dass es interessant sei auch die Handschriften der Schauspieler*innen zu kennen. So hat zum Beispiel Sven-Erich Bechtolf eine relativ schwer zu lesende Schrift, hat sein Rezept aber auch illustriert. Für das Buch beließ man das alles, um einen Gesamteindruck zu geben, transkribierte das Rezept aber – ebenso wie all die anderen, die schwer zu lesen waren.

Sven-Erich Bechtolfs Kartoffelbrei-Rezept, das offensichtlich nicht für den privaten Genuss bestimmt ist, sondern um auf der Bühne serviert zu werden: „Man nehme 8 weichkochende Kartoffel, koche sie, stampfe sie. Gebe Milch dazu und rühre. Die Masse sollte weich sein. Kein Muskat? Keine Butter? Kein Salz? Ist doch wurscht – Schauspieler fressen alles!“

Weil der Band eben ein Theatersachbuch und nicht ein ausgewiesenes Kochbuch ist, hat er auch eine originelle Einteilung der Kapitel: In „Backstage“ geht es um den Faszinationsort Requisite, es folgt das „Vorspiel“ als genussvoller Auftakt. Den „Ersten Auftritt“ hat der Suppentopf, dann heißt es „Gemüse bitte auf die Bühne“, das „Zwischenspiel“ kommt aus Meeresgrund und Fließgewässern, weiters „Dialog“ vom Kropf- und Federvieh, die „Große Szene“ ist ein Fleischmonolog, der Epilog ist süß, der „Würdevolle Abgang“ null- und hochprozentig.

Lilli Nagy(Hg.): Schnitzel Seitenbühne links. Braumüller Verlag, Wien 2022.

20.1.2023

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