„THE THIRD MAN“ – DER FILM UND DIE STADT

„Man kann sich darüber streiten, was ein filmisches Meisterwerk ist, man ist sich jedoch darüber einig, daß der neue englische Film ‚The Third Man‘ (‚Der dritte Mann‘) in diese Kategorie gehört,“ schrieb der Publizist Alex Natan anlässlich der westdeutschen Erstaufführung des Films im Januar 1950 in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“. Bereits im September 1949 hatte die Uraufführung von „The Third Man“ im englischen Hastings stattgefunden, doch erst im Jahr 1950 kam er in den USA, in Deutschland und in Österreich in die Kinos.

Der Film hatte neben Alida Valli, Joseph Cotten und Orson Welles noch eine weitere Hauptdarstellerin, nämlich die Stadt, in der er spielt: Wien. Der renommierte englische Schriftsteller Graham Greene, der die literarische Grundlage für den Film geschaffen hatte, erklärte im Buch zum Film die Situation folgendermaßen: „If you are to understand this strange, rather sad story you must have an impression at least of the background – the smashed dreary city of Vienna divided up in zones among the Four Powers; the Russian, the British, the American, the French zones, regions marked only by notice boards, and in the centre of the city, surrounded by the Ring with its heavy public buildings and its prancing statuary, the Innere Stadt under the control of all Four Powers.“

Vergleicht man das Buch und den Film mit der damaligen Realität, so zeigt sich, wie gut es dem Autor gelungen war, die Atmosphäre, die im desolaten Nachkriegs-Wien herrschte, in seiner Kriminalgeschichte einzufangen. Greene wusste, wovon er schrieb: Am 11. Februar 1948 war er nach Wien gereist, er hatte vom Produzenten Alexander Korda den Auftrag erhalten, eine packende Film-Story zu finden, die in der vierfach besetzten Stadt spielt. Greene stieg im Hotel Sacher ab, wo auch später sein Filmheld im „Dritten Mann“, der Schriftsteller Martins, logieren sollte. Das ehemalige Luxushotel stand damals zwar ausschließlich britischen Militärs zur Verfügung, doch für den Schriftsteller wurde eine Ausnahme gemacht – in der Realität wie im Film. Graham Greene war nach seiner Ankunft offenbar gleich gepackt von der düsteren Stimmung, die ihn in der zerstörten Stadt umgab, fasziniert aber auch von der politischen Situation, die in Wien herrschte, wo die Weltmächte trotz des „Kalten Krieges“ gezwungen waren zusammenzuarbeiten.

Der Autor sah sich in Wien, wo es mit der Versorgung in jeder Hinsicht schlecht bestellt war, um und fand auch bald ein Thema, das eine spannende Kriminalgeschichte versprach: Schwarzmarkt und illegaler Penicillinhandel. Das Schiebertum gehörte zum Alltag im Wien des Jahres 1948, und Penicillin war zu dieser Zeit eine im buchstäblichen Sinn „lebensnotwendige“, aber äußerst rare Kostbarkeit.

In den letzten Kriegsjahren war in Kreisen der Wiener Mediziner gerüchteweise bekannt geworden, dass es in Amerika und Großbritannien ein „Wundermittel“ gegen Infekte gebe. Nach dem Kriegsende kamen genauere Berichte und die ersten Proben des Heilmittels. Zunächst als „Geschenk von Freunden“ in Amerika, wie ein Arzt einmal berichtete, später wurden kleine Mengen des Medikaments von den Streitkräften der USA abgegeben. Im Frühjahr 1946 stellte die UNRRA, die Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen, eine beschränkte Menge von Penicillin zur Verfügung, ein Kontingent. An dieses Geschenk wurden allerdings auch einige Bedingungen geknüpft. Am 21. Mai wurde vom Bundesministerium für soziale Verwaltung ein Erlass bezüglich der „Richtlinien für die Anwendung des Penicillins“ bekanntgegeben, der die Forderungen der UNRRA beinhaltete. Die Bestände mussten vor allem zentral verwaltet werden, und es durften nur Personen behandelt werden, bei denen eine Sulfonamidbehandlung erfolglos geblieben und eine Penicillinempfindlichkeit der Keime geprüft worden waren, damit ja nichts von dem kostbaren Medikament vergeudet würde.

Allerdings scheint das Medikament auch auf dem Schwarzmarkt gehandelt worden zu sein. In diesem Fall ist Graham Greene ein wertvoller Zeitzeuge. Im Vorwort zu seinem Buch schrieb er: „The other day in London a surgeon took two friends to see the film. He was surprised to find them subdued and depressed by a picture he had enjoyed. They then told him that at the end of the war when they were with the Royal Air Force they had themselves sold penicillin in Vienna. The possible consequences of their act had never before occurred to them.“ Allerdings fehlt bis dato der Nachweis, dass es in Wien tatsächlich zur Verfälschung des Medikaments mit tödlichem Ausgang für Patienten gekommen ist, wie dies im Film der Fall ist.

Um die Stimmung in der Stadt zu erfassen, recherchierte Greene mit journalistischer Akribie: Er fuhr mit dem Auto hinaus zum Zentralfriedhof, der ja auch ein Schauplatz der Filmhandlung ist und damals im britischen Sektor lag, und schrieb dann: „Even this cemetry was zoned between the Powers: the Russian zone was marked by huge tasteless statues of armed men, the French by rows of anonymous wooden crosses and a torn tired tricolour flag.“ Er lernte aber auch in der Stadt selbst die verschiedenen Besatzungszonen zu unterscheiden: In den amerikanischen Bezirken waren seiner Meinung nach viel mehr Eissalons als anderswo. Greene besuchte auch ausgiebig die Nachtlokale der Stadt. Das „Casino Oriental“ im 1. Bezirk, Petersplatz 1, brachte es dadurch auch zu literarischen Ehren, der Autor beschrieb es als „dreary, smoky little night club that stands behind a sham Eastern facade“. In eben dieses Lokal lud er seine Schriftstellerkollegin Elisabeth Bowen, die gerade wegen einer Lesung im British Council in Wien anwesend war, am Abend ein und inszenierte, um sie zu schocken, sogar in dem Nachtklub eine Razzia der Internationalen Militärpatrouille – auch diese Episode nahm er dann in seinen Roman auf.

Ein Gespräch mit einem britischen „Intelligence Officer“ brachte Greene auf die Idee, das Wiener Kanalnetz als Schauplatz in den Film einzubeziehen. Der Offizier erzählte ihm, dass es in Wien eine „Underground Police“ gäbe. Er hatte zunächst deren Auflösung verlangt, weil er sie für eine Art Geheimpolizei hielt, bis man ihm erklärte, dass es sich dabei um eine Polizeibrigade handelte, die ihren Dienst in den Wiener Kanälen versah. Graham Greene ließ es sich nicht nehmen, gemeinsam mit dem Nachrichtenoffizier in das Kanalnetz hinabzusteigen. Und hier erst hatte der Autor den zündenden Gedanken für den Film. Alle seine Erlebnisse und Erfahrungen aus Wien konnte er nun für dieses Projekt verarbeiten. Die diesbezüglichen Dreharbeiten für den Film fanden dann sogar unter Mitwirkung des echten „Kanalzuges“ der Wiener Polizei und von Mitarbeitern der städtischen Kanalabteilung statt. Der Ort des unterirdischen Geschehens war das Vereinigungsbauwerk des Ottakringer-Bach-Kanals mit dem linken Wienfluss-Sammelkanal nahe der Wiener Secession.

Die topographischen und technischen Ungenauigkeiten, die im Film gerade im Zusammenhang mit den dramatischen Kanalszenen für Wien-Kundige zu erkennen sind, gehen jedoch nicht auf das Buch zurück, sondern hängen einfach mit den Produktionsbedingungen eines Films zusammen. Graham Greene beteuerte zwar später im Vorwort zu seinem Buch, dass die Wirklichkeit nur den „Hintergrund für ein Märchen“ abgab und er keineswegs einen politischen Film machen, sondern die Kinobesucher „einfach unterhalten, sie ein wenig erschrecken, sie zum Lachen bringen“ wollte. Doch trotz dieser – fast koketten – Einschränkung ist es ihm gelungen, den Auftrag des Filmproduzenten optimal zu erfüllen, denn die zerstörte, von den vier Alliierten kontrollierte Stadt ist – trotz der spannenden Kriminalgeschichte – der eigentliche Hauptdarsteller des Films. Greene hat als Außenstehender und erfahrener Journalist die Situation wohl schärfer gesehen, wohl packender die triste Atmosphäre eingefangen, als dies ein direkt Betroffener hätte tun können. Der Autor erzählt in einem Band seiner Memoiren („Ways of Escape“) allerdings, dass er drei Monate nach seinem ersten Wien-Besuch wieder mit dem Regisseur Carol Reed in die Stadt zurückgekehrt war. Die Verhältnisse hatten sich in diesem kurzen Zeitraum so rasch zum Besseren gewendet, dass er gegenüber seinem Freund Reed immer wieder beteuern musste, dass die Situation hier im Februar 1948 tatsächlich noch so gewesen sei, wie er sie in dem Buch geschildert hatte. Der Film entsprach also sicherlich nicht mehr der Realität des Jahres 1950, in dem er in Wien in die Kinos kam. Doch gerade dieser Umstand zeigt, wie sehr „Der dritte Mann“ ein Zeitdokument darstellt, wie sehr hier die spezifische Situation Wiens im Winter des Jahres 1948 eingefangen wurde. Nicht alle waren deshalb in Wien mit dem Ergebnis zufrieden. Die Zeitschrift „Mein Film“ schrieb im Jahr 1953 rückblickend auf die kritische Rezeption des Films in der österreichischen Bundeshauptstadt: „Wiener Lokalpatrioten waren von dem Film ,Der dritte Mann‘ nicht sehr erbaut. Sie behaupteten, er gäbe ein falsches Bild von Wien. Das tat er aber gar nicht, er zeigte ein Wien, das die Österreicher bisher nicht gesehen hatten. Ein verzerrendes Bild von Wien gaben die am laufenden Band hergestellten Dulliöh- und Heurigenfilme, in denen jeder zweite Wiener sein Gwand versauft oder auf dem Klavier herumhackt.“

Weiterführende Literatur:
Bert Rebhandl, Der dritte Mann. Die Neuentdeckung eines Filmklassikers, Czernin Verlag, Wien 2019.

5.1.2020

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