AUSSER GEBRAUCH

Was sind die Hauptaufgaben eines Museums? Forschen, bewahren, dokumentieren, ausstellen und vermitteln. Und natürlich sammeln. Das macht auch das Historische Museum Basel seit seinem Bestehen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wobei sein Ursprung bereits im 16. Jahrhundert liegt. In all den Jahren und Jahrhunderten kommt einiges zusammen – derzeit umfasst die Sammlung mehr als 300.000 Objekte. Margret Ribbert, Kuratorin am Museum, hatte nun die Idee, Objekte, die außer Gebrauch gerieten, auszustellen. Diese stammen aus der Zeit vom späten 17. Jahrhundert bis zur Jahrtausendwende und werden in einer thematisch gegliederten Auswahl präsentiert. Es ist ein „Kaleidoskop ausser Gebrauch geratener Dinge“, zu dem Margret Ribbert im Buch zur Ausstellung vermerkt: „In den Dingen manifestiert sich der Wandel des Alltagslebens. Das Auftreten von Objekten mit neuen Funktionen und Formen ist ebenso kennzeichnend wie ihr Verschwinden.“

Dieses Verschwinden findet nicht überall gleichzeitig statt, es gibt Unterschiede zwischen einzelnen Ländern, aber auch auf regionaler Basis. Mit dem Verschwinden der Dinge gehen aber auch Verhaltensweisen verloren, Erscheinungen und Rhythmen des Alltags, und so auch die Wörter, die Begriffe. Denn wer etwa weiß denn heute noch so genau, was ein „Haubenkopf“ ist – einst, so Margret Ribbert – ein Gegenstand des täglichen Gebrauchs.

Haubenkopf, vermutlich aus Basel, 2. Viertel des 19. Jahrhunderts. © Historisches Museum Basel, Foto: Andreas Niemz

Zu finden waren Haubenköpfe nicht nur in Hutläden, um auf ihnen Hauben und Hüte entsprechend zu präsentieren, sondern auch in privaten Haushalten, um Kopfbedeckungen aufzubewahren, auszubessern und neu in Form zu bringen. Bei dem im Buch abgebildeten Haubenkopf handelt es sich um ein ganz besonderes Objekt, denn, so Margret Ribbert: „Im Gegensatz zur Mehrheit der recht einfach hergestellten und stereotyp wirken­den Haubenköpfe besticht dieses Exemplar durch klassische, individuelle Gesichtszüge, die auf einer sehr sorgfältigen Modellierung beruhen. Auch die Bemalung von Augen, Brauen und Mund ist sehr fein und hebt diesen Kopf weit über die übliche Qualität der Gruppe hinaus.“ Gefertigt wurde der Haubenkopf im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts und entspricht „mit seinem ovalen Gesicht und den dunklen Haaren (…) ganz dem weiblichen Schönheitsideal der Biedermeierzeit.“

Rauchverzehrer in Form eines Elefanten, Berlin, Firma Aerozon, um 1920–30. © Historisches Museum Basel, Foto: Andreas Niemz

Ebenfalls außer Gebrauch geraten sind jene Rauchverzehrer, die bis in die 1970er Jahre in vielen Haushalten zu finden waren. In Gebrauch waren sie ab den 1920er Jahren, als Zigaretten zum Massenprodukt wurden. In vielen Haushalten störte nun aber der Tabakrauch, also wurde ein Rauchverzehrer angeschafft. Tatsächlich „verzehrt“ wurde der Rauch allerdings nicht, vermerkt Margret Ribbert: „Die sogenannten Rauchverzehrer bestanden aus einer elektrischen Glüh­lampe in einem Porzellangefäss mit kleinen Öffnungen. Im Innern befand sich ein kleiner Behälter, der mit parfümiertem Wasser gefüllt werden konnte. Durch die Wärme der Lampe verdunstete das Parfüm, die aufsteigende warme Luft sorgte gleichzeitig dafür, dass der Rauch an die Decke zog und somit aus dem Blickfeld verschwand.“

Kaum mehr verwendet wird heutzutage auch der Stopfpilz, über den Socken und Strümpfe gespannt werden, um Löcher auszubessern. Meist waren sie aus Holz gefertigt, manchmal auch bunt bemalt. Ein exklusives Kuriosum in dieser Produktgruppe ist jener Stopfpilz mit elektrischer Beleuchtung, den Margret Ribbert in ihrem Buch präsentiert.

Stopfpilz mit elektrischer Beleuchtung, Deutschland, um 1940–1950. © Historisches Museum Basel, Foto: Andreas Niemz

Wohl wissend, dass die Größe des Themas Beschränkung und Konzentration verlangt, hat Margret Ribbert versucht, in acht Kapiteln Gleichartiges und Ähnliches aus bestimmten Lebensbereichen zusammenzufassen. Sie beginnt mit „Feuerzeug und Eiskasten“ und beschäftigt sich da mit dem technischen Fortschritt im Haushalt; vergangene Hygieneverhältnisse werden in „Spucknapf und Zimmertoilette“ behandelt, und wie sich die Tafelkultur verändert hat, ist unter „Sturzbecher und Rauchverzehrer“ zu finden. Beim Sturzbecher handelt es sich übrigens um ein Trinkgefäß, das in einem Zug zu leeren ist, denn, so Ribbert: „Um diesen Trinkzwang auch durch die Form zu betonen, fehlt diesen Gefässen ein Fuss, so dass man sie nur verkehrt herum und in leerem Zustand abstellen kann.“

In „Affenpelz und Kolibrifächer“ ist das Thema der Raubbau an der Natur, und „Puderbläser und Sonnenschirm“ zeigt die Mode im Wandel. Die Entwicklungen in Transport und Kommunikation bilden den Inhalt von „Sänfte und Schreibmaschine“, „Stopfei und Kochkiste“ handelt vom Leben ohne Überfluss und in Kriegszeiten und schließlich ist in „Trauerschmuck und Tischklingel“ vom Umbruch in der Gesellschaft die Rede.

Tischtelefon mit Wählscheibe, Solothurn, 1939. © Historisches Museum Basel, Foto: Andreas Niemz

Hier ist auch der Platz, um Andreas Niemz vor den Vorhang zu holen. Er hat viele, viele Gegenstände fotografiert. Doch das Wort fotografieren würde seinen Bildern nicht gerecht werden. Er hat diese Objekte aus längst vergangenen Tagen ins wahre Licht gerückt, plastisch, sinnlich erlebbar gemacht. Dazu kommen als Illustrationen noch Werbe-Plakate, Schwarzweiß-Fotos, die intensiv das Lebensgefühl längst vergangener Zeiten vermitteln und auch einschlägige Abbildungen aus Modezeitschriften.

Margret Ribbert: Ausser Gebrauch. Alltag im Wandel. Christoph Merian Verlag, Basel 2023.
Die Ausstellung „Ausser Gebrauch – Alltag im Wandel“ ist bis zum 17. September 2023 im Historischen Museum Basel zu sehen.

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