„Vor der Oper blieb er eine Weile stehen. Dabei sah er, dass der gegenüberliegende Heinrichshof, in dessen Kaffeehaus er seine tägliche Schachpartie gehabt hatte, aus Fensterlöchern und verbrannten Ziegeln bestand. Die Ziegel glänzten in der Nässe. Er ging die Kärntner Straße hinauf, aber die Kärntner Straße gab es auch nicht mehr.“
„Er“, das ist Felix von Geldern, die Hauptfigur im Roman „Die Rückkehr“ von Ernst Lothar. Nach jahrelangem Exil in den USA kehrt Geldern im Jahr 1946 wieder in das teilweise zerstörte Wien zurück. Und es ist eine überaus interessante und zwiespältige Persönlichkeit, die der Autor da in anschaulicher Weise lebendig werden lässt: Wenige Tage nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland im Jahr 1938 war Geldern gemeinsam mit einem Großteil seiner wohlhabenden Familie nach New York emigriert, da ihm die Vorstellung „Deutscher zu werden“ unerträglich erschien. Dass noch dazu Wien zu „einer obskuren deutschen Provinz“ geworden war, hatte ihn zutiefst deprimiert. Ein Jahr nach Ende des Krieges kommt er gemeinsam mit seiner unternehmungslustigen Großmutter Viktoria wieder in die alte Heimat. Was die beiden da an Armut, Zerstörung, Verlogenheit und Niedertracht erleben, macht das Buch zu einem der aufschlussreichsten literarischen Zeugnisse zur österreichischen Zeitgeschichte. Berührend ist dabei auch die differenzierte Darstellung der sehr unterschiedlichen Schicksale, denen die Menschen unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ausgesetzt waren. Diese dokumentarische Dichte lässt einen auch über die stellenweise zu intensive Melodramatik der in den Roman hinein verwobenen doppelten Liebesgeschichte hinwegsehen.
Dem Buch war bei seiner ersten Veröffentlichung, 1949, kein großer Erfolg beschieden. Nun ist eine vielbeachtete Neuauflage erschienen, und der Schriftsteller Doron Rabinovici, der dazu unter dem Titel „Der Riss der ersten Liebe“ ein umfangreiches Nachwort verfasst hat, liegt mit seiner Analyse wohl richtig, wenn er meint: „Kein Wunder, dass der Roman bei seinem Erscheinen 1949 nicht auf Begeisterung stieß. Den Geschichtsleugnern, den Tätern und den Nutznießern der Verbrechen sprach er zu offen an, wovon sie gar nichts mehr hören wollten. Denjenigen, deren Eltern oder Kinder ermordet worden waren, war er wiederum zu versöhnlich. Viele verstanden auch nicht jene verworrene Zwiespältigkeit des Exilanten, der sich nach einer Heimat sehnt, von der er gleichwohl weiß, dass sie schon immer nur eine Schimäre war.“
Es ist kein autobiografischer Roman, den Ernst Lothar geschrieben hat, das Buch hat aber viel mit seinem eigenen Schicksal und seinen Erfahrungen zu tun. Er wurde als Lothar Ernst Müller 1890 in Brünn geboren, absolvierte in Wien ein Jurastudium, war ab den 1920er Jahren als Theaterkritiker und später auch als Regisseur – unter anderem am Burgtheater – tätig und war von 1935 bis 1938 Direktor des Theaters in der Josefstadt. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft flüchtete Lothar gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Adrienne Gessner, nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland über die Schweiz und Frankreich in die USA. Er gründete in New York ein – allerdings nur wenig erfolgreiches – „Austrian Theatre“, war Gastprofessor an der University of Colorado und verfasste im Exil mehrere Romane. Diese kamen zunächst in englischer Übersetzung heraus – so auch „The Angel with the Trumpet“, sein wohl bekanntestes Werk, das dann sowohl in einer englischen Fassung als auch auf Deutsch – 1948 unter dem Titel „Der Engel mit der Posaune“ – erfolgreich verfilmt wurde.
1946 kehrte Ernst Lothar nach Österreich zurück, wo er sich als Theater- und Musikbeauftragter des „United States Office of War Information“ mit großem Engagement dem Wiederaufbau des österreichischen Kulturlebens annahm. In der Folge war er als Regisseur im Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen wieder eine bestimmende Größe in der deutschsprachigen Theaterszene. 1974 verstarb er, 84-jährig, in Wien.
Ernst Lothar, Die Rückkehr. Roman. Mit einem Nachwort von Doron Rabinovici, btb Verlag, München 2019.