„KATTI LANNER WAS A TRAILBLAZER“

Die Theaterkritiker und das Londoner Premierenpublikum waren begeistert: „Nothing so excellent of its kind has ever been seen in England“[1], lautete das enthusiastische Urteil. Besonders faszinierend an der Produktion sei es, dass ein ganzes „kingdom of cats“ auf die Bühne gebracht werde, wobei die Katzenkostüme „exquisitely charming“ und das Bühnenbild „extremely picturesque“[2] seien.

Nein – die Rede ist hier nicht vom Musical „Cats“. Es geht um ein anderes, fast neunzig Jahre vor „Cats“ uraufgeführtes Stück, bei dem aber ebenfalls Katzen auf der Bühne Furore machten und das auch zum Sensationserfolg wurde. Es war das Ballett „Katrina“, das am 20. Februar 1893 im Londoner „Empire Theatre“ Premiere hatte. Erdacht und choreografiert hatte die Geschichte, in deren Mittelpunkt ein großes Fest im Katzenland steht, „Madame Katti Lanner, which bespeaks its excellence“[3].

Doch wer war diese Katti Lanner, die sogar im „Ulysses“ von James Joyce erwähnt wird[4]?

Katharina Lanner, Lithografie von Adolf Dauthage, 1861 (Wien Museum, CC0)
Katharina Lanner, Lithografie (Ausschnitt) von Adolf Dauthage, 1861 (Wien Museum, CC0)

Karrierebeginn in Wien
Zwar galt Katti – oder eigentlich: Katharina Josepha – Lanner als „the queen, the mother of the London ballet“[5], begonnen aber hatte ihre Karriere in Wien. Dort wurde sie am 14. September 1829 geboren, und dort hatte sie, am 17. Juli 1845, ihren ersten öffentlichen Auftritt. Es war ein Pas de deux im Rahmen einer Aufführung von Antonio Guerras Ballett „Angelica“ im „K.k. Hofoperntheater nächst dem Kärntnerthore“[6].

Schon im Voraus sorgte Lanners Debüt für großes Interesse: Der Auftritt der 15-jährigen Ballettelevin wurde in den Zeitungen angekündigt, der Publikumsandrang war groß. Dies lag daran, so die „Wiener-Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode“, dass Lanners Name der Aufführung „besondere Anziehungskraft“ verlieh, denn es war ein Name, „den alle Wiener, und vorzüglich alle Wienerinnen, gut kennen“[7]. Jener so bekannte Name war der des Komponisten Joseph Lanner, dessen Tochter Katharina Lanner war.

Ankündigung von Katharina Lanners Debüt in der Zeitschrift "Der Humorist"
Ankündigung von Katharina Lanners Debüt in der Zeitschrift „Der Humorist“ (ÖNB ANNO)

Joseph Lanner, der neben Johann Strauss Vater als Begründer der Wiener Walzertradition gilt, war bereits 1843, zwei Jahre vor dem ersten Auftritt seiner Tochter, verstorben. Für Katharina aber war die Beliebtheit seiner Musik sicher ein Startvorteil: „Wenn ein Vater den Leuten jahrelang Musik gemacht hat, nach der sie mit wahrer Passion tanzen, so finde ich nichts natürlicher, als daß dann, wenn die Tochter dieses um das Vergnügen der Wiener sich wahrhaft unvergeßlich gemacht habenden Vaters tanzt, die Leute nicht ermangeln, die gehörige Musik dazu zu machen, in diesem Falle: zu applaudieren“[8], meinte der Rezensent der Wiener Zeitschrift „Der Wanderer“.

Tatsächlich erhielt Katharina Lanner für ihr Debüt viel Beifall: „Sie besitzt ein angenehmes Äußere, eine höchst vortheilhafte schlanke, hohe Gestalt, tanzt mit einer gewissen Ruhe und Sicherheit, macht sehr graziöse Bewegungen, und bringt mit einem Worte alle äußere und innere Begabung für das erwählte Fach mit“, schrieb die „Wiener-Zeitschrift“ (19.7.1845). Ähnlich gute Kritiken bekam Lanner auch in den anderen Zeitungen, die über ihren Auftritt berichteten – während das Tanzstück, mit dem sie debütierte, durchwegs nicht gefiel. Es sei zwar eine neue Choreografie, die aber „gerade so aussah, wie sehr viele ältere“, hieß es in der „Wiener-Zeitschrift“, und besonders hart urteilte das „Österreichische Morgenblatt“ (21.7.1845): „Leider war es ein höchst abgeschmacktes Pas de deux und ein eben so abgeschmackter Tänzer (Campilli d. j.)“.

Der angeblich so abgeschmackte Tänzer, von dem auch die Choreografie stammte, war übrigens Friedrich Campilli, Solotänzer des Hofopernballetts und Sohn von Lanners Ballettlehrer Peter Campilli.

Vorbild Fanny Elssler
Ihren Tanzstil habe Katharina Lanner „nicht so eigentlich von ihrem Lehrer“, so der Rezensent des „Wanderers“, sondern sie habe ihn „ohne Zweifel der unvergleichlichen Fanni Elsler[!] abgeguckt“[9]. Fanny Elssler, eine der international berühmtesten Tänzerinnen jener Zeit, war bestimmt ein wichtiges Vorbild für Katharina Lanner gewesen. Vergleicht man Beschreibungen von Auftritten der beiden, so scheint Lanner vor allem den von Elssler geprägten expressiven Stil mit starker Mimik und Gestik übernommen zu haben. In Interviews wies Lanner später wiederholt darauf hin, dass sie an der Wiener Hofoper mehrfach mit Elssler aufgetreten war und dass diese ihr eine große Karriere vorausgesagt habe.

Ankündigung einer Aufführung des Balletts „Katharina, die Tochter des Banditen“ von Jules Perrot und der Musik von Cesare Pugni (Fremden-Blatt, 17.6.1851)
Ankündigung einer Aufführung des Balletts „Katharina, die Tochter des Banditen“ von Jules Perrot und der Musik von Cesare Pugni. Fremden-Blatt, 17.6.1851 (ÖNB ANNO)

Fanny Elssler war, wie die Teplitzer Zeitung (10.6.1874) zu berichten wusste, auch noch in ganz anderer Weise ein Vorbild für Katharina Lanner. Denn Elssler „nahm an den Tagen, an denen sie zu tanzen hatte, Wein-Fußbäder, und ihrem Beispiele folgte später Kathi Lanner.“ Beide allerdings, so die Zeitung, wurden diesbezüglich von der spanischen Ballerina Pepita de Oliva übertroffen, „die nicht nur Champagnerbäder nahm, sondern auch vor jedesmaligem Auftreten eine kleine Flasche Röderer trank.“

Beginn der internationalen Karriere
Katharina Lanner war bis Mitte der 1850er Jahre festes Mitglied des Wiener Hofopernballetts. Viel Anerkennung brachten ihr in jener Zeit ihre Auftritte in Adolphe Adams berühmten Ballett „Giselle“ ein. Darin verkörperte sie zunächst eine der beiden als Wilen bezeichneten weiblichen Naturgeister, dann war ihre Rolle jene der Wilen-Königin Myrtha und später tanzte sie – oftmals und mit großem Erfolg – die Titelrolle. Bereits als sie zum ersten Mal, am 16. November 1849, als Wila aufgetreten war, berichtete „Der Humorist“ (18.11.1849), dass sie viel Beifall erhalten habe, und ergänzte: „Wir würden ihr rathen, recht bald nach Paris zu gehen, wo sie gewiß in kurzer Zeit unter den ersten Tänzerinnen glänzen würde.“

Katharina Lanner ging zwar nicht nach Paris, beendete aber 1855 ihr fixes Engagement in Wien. Sie trat in den folgenden Jahren an zahlreichen europäischen Bühnen auf, unter anderem in Prag, Brünn, Bratislava, Krakau, Lemberg, Budapest, Dresden und Berlin. Dass sie weiterhin oft mit ihrem Vater in Verbindung gebracht wurde, verstand sie bei ihren Auftritten durchaus zu nutzen. So etwa berichtete das Wiener „Fremden-Blatt“ am 5. Februar 1857: „Frln. Lanner, die gegenwärtig in München gastirt[!], führt eine kostbare Geige ihres unvergeßlichen Vaters mit sich, auf welcher dem jedesmaligen Auftreten der Tänzerin von einem Solospieler des Orchesters ein Stück vorgetragen wird.“

Auch bei ihrem Gastspiel in München – das sie gemeinsam mit August Levasseur, Solotänzer an der Pariser Oper absolvierte – tanzte Katharina Lanner die „Giselle“
Auch bei ihrem Gastspiel in München – das sie gemeinsam mit August Levasseur, Solotänzer an der Pariser Oper absolvierte – tanzte Katharina Lanner die „Giselle“

„Der allgemein gefeierte Liebling“ des Hamburger Publikums
Eng verbunden war Katharina Lanner mit dem Hamburger Stadttheater, dem Vorgänger der Hamburgischen Staatsoper. Am 4. November 1855 war sie dort erstmals aufgetreten, und zwar in dem zu jener Zeit sehr populären „komischen Ballett in einem Akte“ „Der Postillon und die Marketenderin“ des Choreografen Arthur Saint-Léon und mit der Musik Cesare Pugni. Ihr Partner war auch dort August Levasseur, mit dem gemeinsam sie in jenen Jahren sehr häufig auftrat.

Eigentlich sollte das Hamburger Gastspiel der beiden nur bis 29. November dauern, wurde aber dann mehrfach verlängert und Lanner und Levasseur blieben bis Februar 1856 in Hamburg. Neben dem komischen Ballett „Saltarello. Der Tanzsüchtige“ von Louis Frappart, das, wie Berichten zu entnehmen ist, sehr gut zu den ausgeprägten pantomimischen Fähigkeiten Lanners passte, standen auch Jules Perrots „Esmeralda, oder: Der Glöckner von Notre-Dame“ und Adolphe de Leuvens „Le diable à quatre“ (Musik Adolphe Adam) auf dem Programm des Gastspiels. Vor allem aber brillierte Lanner wieder einmal als „Giselle“: „Fräul. Lanner, die unbedingt als eine der Ersten ihres Faches dasteht und in ihrer Kunst Epoche macht, hatte diese Rolle mit ganz neuen Pas ausgeschmückt und wurde mit Beifall überhäuft“ (Staats und Gelehrte Zeitung, Hamburg 29.1.1856).

Im April 1857 kam Lanner erneut und wieder gemeinsam mit August Levasseur zu einem Gastspiel nach Hamburg und wurde dann im Juli 1857 als erste Solotänzerin und Balletmeisterin an das Stadttheater engagiert. Auch Levasseur blieb für die folgenden Jahre in Hamburg und war dort sowohl als Tänzer als auch als Choreograf tätig.

Erinnerungsblatt (links) und Notentitelblatt (rechts) aus Lanners Zeit als Solotänzerin am Hamburger Stadttheater
Erinnerungsblatt (links) und Notentitelblatt (rechts) aus Lanners Zeit als Solotänzerin am Hamburger Stadttheater

Katharina Lanner war in Hamburg, wie der „Altonaer Mercur“ (13.1.1859) vermerkte, „der allgemein gefeierte Liebling des Publicums“ . Dies hatte, so die Zeitung, zum einen mit „ihrer seltenen Virtuosität als Tänzerin“ zu tun und zum anderen damit, dass sie „junge, talentvolle Eleven (…) mit Erfolg für ihre Kunst heranzubilden verstand.“ Diese Begabung als Tanzpädagogin bewies Lanner mit der Gründung einer Kinder-Balletttruppe, die sie 1857 mit einem Weihnachtsballett erstmals präsentierte. In den folgenden Jahren ging sie mit der Compagnie auch einige Male auf Tournee. So etwa trat sie im Juni 1858 mit 36 Elevinnen in Paris auf. Wegen der zunehmenden politischen Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich unterließ es sie dabei jedoch, auf die Hamburger Herkunft der Truppe hinzuweisen, sondern nannte sie „Danseues danois“ – „Dänische Tänzerinnen“.

„One of the most intellectual dancers“
Zwar lag das Zentrum der künstlerischen Tätigkeit Katharina Lanners bis Mitte der 1860er Jahre in Hamburg, aber sie trat in jener Zeit auch in zahlreichen anderen Städten auf. So etwa hatte sie längere Engagements in Budapest, 1862 gab sie ein mehrmonatiges Gastspiel in Odessa, und sie war immer wieder auch in ihrer Heimatstadt Wien zu sehen.

1864 gründete sie gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann, dem Tänzer Alfred Geraldini, ihre eigene Ballett-Truppe. Die „Ballettgesellschaft Lanner“, die sich auch „Wiener Ballett“, „Ballet Viennois“ oder „Viennoise Ballet Troupe“ nannte und deren Mitgliederzahl, je nach aktuellem Repertoire, zwischen 20 und 40 Tänzer:innen lag, war nicht nur mit großem Erfolg in Europa unterwegs, sondern gab 1870 auch ein längeres Gastspiel im Grand Opera House in New York.

The New York Herald, 19.6.1870, S. 9.
The New York Herald, 19.6.1870

Der erste Auftritt der „Viennoise Ballet Troupe“ fand am 1. Juli 1870 statt. Auf dem Programm stand das „Comic Ballet Fantastique” „Hirka“, für das Lanner das Szenario geschrieben und die Choreografie erstellt hatte und in dem sie auch eine der beiden weiblichen Hauptrollen tanzte. Die andere hatte sie mit der damals 20-jährigen Bertha Lind besetzt. Die Tänzerin (die sich auch Bertha Linda nannte) stammte aus Wien, hatte ihre Solo-Karriere 1864 an der Hamburger Oper begonnen und war später Solotänzerin an der Wiener Hofoper und mit dem Maler Hans Makart verheiratet. Über die Auftritte von Lanner und Lind schrieb „The Daily Evening Telegraph“ (10.9.1870): „Madame Lanner will leave behind her the reputation of being one of the most intellectual dancers and Bertha Lind that of being one of the most beautiful women ever seen upon the American stage.“

Das Engagement der „Viennoise Ballet Troupe“ am Grand Opera House dauerte bis Ende September 1870. Auftritte gab es mehrmals pro Woche, auf dem Programm standen dabei neben „Hirka“ das Ballett „Sitala“, das ebenfalls von Lanner stammte, und das „große fantastische Ballett“ „Uriella, der Dämon der Nacht“ von Henri de Saint-Georges und Joseph Mazilier, das eines der „Paradestücke“ Lanners war. Außerdem zeigte sie oft auch Tänze zu Kompositionen ihres Vaters Joseph Lanner, so etwa als Ouvertüre zu „Sitala“ die „Quadrille francaise, op. 69“ und den „Champagner-Knall-Galopp, op. 114“.

„Miss Katti Lanner“, Karikatur aus „The Entreʼacte“, 31.12.1887
„Miss Katti Lanner“, Karikatur aus „The Entreʼacte“, 31.12.1887 (New York Public Library)

Insgesamt sei das dreimonatige Gastspiel von „Madame Kathi Lanner and her troupe of Viennoise dancers“ am Grand Opera House „very successful“, „full of pleasure for the public“ und ein „profit for the management“ gewesen, so die Zeitung „New York Dispatch“ (18.9.1870). Der finanzielle Erfolg für das Opernmanagement könnte der Grund dafür gewesen sein, dass Katharina Lanner 1872 erneut einen Ruf nach New York erhielt. Diesmal sollte sie vor allem als Choreografin und Ballettmeisterin tätig sein. Denn man hatte sie – „the best maitresse de ballet that Continental Europe could furnish“[10] – engagiert, um für das große „opening spectacle“ des Broadway-Theaters „Niblo’s Gaden“ ein Ballett zu gestalten, das als „the most perfect yet produced in America“[11] angekündigt wurde. Die am 30. November 1872 erfolgte Wiedereröffnung des durch einen Brand zerstört gewesenen Theaters war, mit rund 4.000 Zuschauer:innen, ein großer Erfolg – und dies offenbar auch für Lanner, die noch weitere Choreografien für „Niblo’s Garden“ schuf. Aber auch für das Grand Opera House war sie wieder tätig und leitete dort zwischen 1873 und 1875 eine Ballettschule für Kinder. Ende 1875 kehrte Katharina Lanner zurück nach Europa, wo ein neuer Abschnitt ihrer Karriere begann.

„Eine vollständige Umwälzung des Ballets in England“
Ihren letzten Auftritt als Ballerina hatte Katharina Lanner am 16. Juli 1878 im Londoner „Her Majesty’s Theatre”. Bei einer Aufführung von Giacomo Meyerbeers Oper „Robert le Diable“ tanzte sie im „Nonnenballett“ die Äbtissin Héléna. Nach ihrem Auftritt fand auf der Bühne eine Ehrung für sie statt, bei der sie einen „laurel wreath interspersed with leaves of gold“ erhielt.[12] 

Katti Lanner, wie sie im englischsprachigen Raum meist genannt wurde, lebte von 1876 bis zu ihrem Tod in London und war dort rund drei Jahrzehnte lang als Choreografin und Tanzpädagogin tätig – was ihr ähnlich viel Ruhm und Anerkennung einbrachte wie ihre Karriere als Tänzerin. Es war der renommierte Londoner Impresario James Henry Mapleson, der Lanner von New York wegengagiert hatte und sie nicht nur zur Ballettmeisterin an den von ihm geleiteten Theatern – „Her Majesty’s Theatre” und „Theatre Royal“ – machte, sondern auch mit ihr gemeinsam 1876 die „National Training School of Dancing“ gründete. Lanner leitete die Schule, mit der in England eine erste institutionelle Ausbildungsstätte für klassischen Tanz geschaffen wurde, bis 1905: „Ohne jede Übertreibung kann man von ihr sagen, daß sie eine vollständige Umwälzung auf dem Gebiete des Ballets in England zu Stande gebracht hat, ja daß man seit ihrer Wirksamkeit in London überhaupt erst von einem englischen Ballet sprechen kann“[13]. In den rund drei Jahrzehnten, in denen Katti Lanner die Ballettschule führte, absolvierten über eintausend Tänzer:innen dort ihre Ausbildung.

Katti Lanner mit Tänzerinnen des von ihr auf Basis von Goethes Drama choreografierten Ballett „Faust“ (The Sketch, 15.5.1895)
Katti Lanner mit Tänzerinnen des von ihr auf Basis von Goethes Drama choreografierten Balletts „Faust“ (The Sketch, 15.5.1895)

Als am 22. Dezember 1887 das neugestaltete „Empire Theatre“ am Londoner Leicester Square mit einer großen Festvorstellung eröffnet wurde, war in den Zeitungsberichten darüber auch der Name Katti Lanner zu finden. Denn sie war als Choreographin und Ballettchefin an das Haus engagiert worden, das – im Stil der damaligen Music Halls – einen Schwerpunkt auf Revuen und Ballette setzte.

Für die Eröffnung des Hauses, das über 2.000 Plätze umfasste und als das „most beautiful and luxurious theatre in Europe“[14] gefeiert wurde, hatte Lanner zwei Ballette gestaltet: das eine, betitelt „Dilara“, war eine Serie von orientalisch inspirierten Szenen, die, wie es in den Berichten hieß, sehr gut zur Ausgestaltung des Hauses passten; das andere, das den Titel „The Sports of England“ trug und Szenen mit Bezug auf beliebte englische Sportarten zeigte, kam besonders gut an und stand in der Folge über mehrere Monate auf dem Programm des „Empire Theatre“.

Titelblatt eines Programmhefts des „Empire Theatre“, 1891. (Médiathèque Pierre Fanlac de Périgueux CC 2.0)
Titelblatt eines Programmhefts des „Empire Theatre“, 1891. (Médiathèque Pierre Fanlac de Périgueux CC 2.0)

Katti Lanner blieb bis 1905 am „Empire Theatre“ tätig und kreierte dort an die 40 Ballette. Eine enge Zusammenarbeit verband sie mit dem Komponisten Leopold Wenzel, der die Musik zu zahlreichen Balletten Lanners schuf. So etwa zum Katzenballett „Katrina“ und zu etlichen jener Werke, die damals als „Up-to-Date-Ballets“ bezeichnet wurden. Gemeint waren damit Stücke mit realistischer Handlung und Gegenwartsbezug. Eines davon war 1894 das Ballett „On Brighton Pier“, das vom bunten Leben im britischen Seebad Brighton handelte. Es sei, so meinte der Rezensent der Zeitschrift „The Sketch“ (17.10.1894), schwieriger „to make a good ballet out of such material than out of nymphs and goodesses“ – doch „if anyone ever had a genius for inventing ballets it is Madame Lanner“. Und zur Musik hieß es: „To write ballet music is an art by itself, and that art M. Wenzel possessed to perfection.“

Mit dem verkürztem Titel „Brighton“ wurde das Ballett „On Brighton Pier“ 1896 auch vom Pariser „Olympia“ übernommen (Plakat: gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale
de France)
Unter dem verkürztem Titel „Brighton“ wurde das Ballett „On Brighton Pier“ 1896 auch vom Pariser „Olympia“ übernommen. Plakat gestaltet von Jean de Paleologo (gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France)

Auch im Alter von mehr als 70 Jahren war Katti Lanner fast täglich im Theater anzutreffen – und wurde dabei, wie Zeitgenoss:innen berichteten, aufgrund ihrer eher schäbigen Kleidung des Öfteren für eine Putzfrau gehalten: „Katti, by the way, is one of the oddest sights of the British stage. She habitually trots around in the shabbiest of gowns, with an old shawl over her head, and the new stage head generally mistakes her for a ‘lydy what does charing’, and starts to banter accordingly. The shock which eventuates when he sees her ordering around the besabled and bediamonded charmers of the high-kick concern usually drives him to an early drunk.“[15]

„Madame Katti Lanner (Finished pupils and their teacher)“, Karikatur von Charles Paul Renouard, 1889 (National Gallery of Victoria, Melbourne)
„Madame Katti Lanner (Finished pupils and their teacher)“, Karikatur von Charles Paul Renouard, 1889 (National Gallery of Victoria, Melbourne)

Privates
Katharina Lanner, die am 15. November 1908 in London starb, war zwei Mal verheiratet. Ihr erster Mann war der aus Wien stammende Tänzer Alfred Geraldini, von dem sie sich um 1875 trennte und der nach der Scheidung in Wien eine Theater- und Konzertagentur führte. Mit ihm hatte sie drei Töchter: Katharina, die ebenfalls eine Tänzerin war, Albertine und Sophia. Während über Katharinas und Albertines Lebensläufe nur wenig bekannt ist, gibt es über Sophia Geraldinis offenbar recht erfolgreiche Karriere als Harfenvirtuosin eine Reihe von Berichten.

Katharina Lanners zweiter Ehemann war der aus Neapel stammende Tänzer Giuseppe Venuto de Francesco, mit dem sie seit Mitte der 1860er Jahre aufgetreten war, der ihrer Ballett-Truppe angehört hatte und der sie auch zu ihren Engagements in die USA begleitet hatte. Katharina Lanner wurde neben ihm, der 1892 verstarb, auf dem Londoner West Norwood Cemetery bestattet. Als ihre Erbin setzte Lanner ihre Adoptivtochter, die Tänzerin Cora de Mere, ein. Diese nahm, gemäß den Testamentsbedingungen, den Familiennamen Lanner an und führte die Ballettschule weiter. Für Vermutungen, dass Cora de Mere die Tochter von Katharina Lanner und Giuseppe Venuto de Francesco gewesen sei, konnten bislang keine Belege gefunden werden.

Rezeption
In Österreich und Deutschland geriet es bald in Vergessenheit, dass Katharina Lanner eine der bedeutendsten Ballett-Tänzerinnen ihrer Zeit gewesen war. So störte es offenbar auch nicht, dass sie in dem 1933 produzierten UFA-Film „Walzerkrieg“ in einer Weise präsentiert wird, die absolut nichts mit den biografischen Daten und Fakten zu tun hat. Gespielt von Renate Müller vermittelt sie da, als Musikerin, in einem Konkurrenzkampf zwischen ihrem Vater (dargestellt von Paul Hörbiger) und Johann Strauss (dargestellt von Adolf Wohlbrück), dass sie Ballett-Tänzerin war, kommt nicht vor.

Im englischsprachigen Raum gilt Lanner bis heute in der Ballett- und Theatergeschichte als prägende Persönlichkeit: Durch ihren Tanzstil, vor allem aber durch ihre Leistungen als Choreografin – „She has the rare distinction of being a woman choreographer in a field apparently dominated by men“[16] – und als Tanzpädagogin: „She was thus instrumental in establishing an institutional basis for English ballet.“[17] Kurz und prägnant formulierte es das Magazin „Dance Australia“, das in seiner April-Mai Ausgabe 2019 schrieb: „Katti Lanner was a trailblazer“.


29.2.2024

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