MODESTADT BERLIN

Schon längst hat die Unterhaltungsindustrie das Berlin der 1920er Jahre in mehr oder weniger opulenten, farbenfrohen Filmen, Musicals und Fernsehserien entdeckt. Kaum jemand aber spricht von der Eleganz der Berliner Modedesigner der 1920er und 1930er Jahre. Und so überrascht Gesa Kessemeier gleich im Prolog zu ihrem Buch „Modestadt Berlin“ mit der Feststellung, dass Berliner Designer und Designerinnen jener Zeit Weltruf gehabt hätten. Mit „Kühnheit in der Erfindung, Qualität des Materials und der Verarbeitung“ konkurrierten sie mit den besten Firmen der Pariser Haut Couture.

Buchcover

Gesa Kessemeier ist sowohl Mode- und Zeithistorikerin als auch Ausstellungskuratorin. Die Geschichte der Modestadt Berlin hat sie nun in einem umfassenden, zugleich eleganten, mit Schwarzweiß-Fotos dezent illustrieren Buch aufgearbeitet. Dabei musste sie zur Kenntnis nehmen, dass die Mode aus Berlin in der Modegeschichtsschreibung nicht vorkommt, die internationale Bedeutung von Berlin als Hauptstadt der Konfektionsmode im 19. und frühen 20. Jahrhundert unerwähnt bleibt, man auch in Berlin kaum etwas über „die Modegeschichte(n)“ der Stadt, ihre Modellhäuser und Couturiers weiß. Allerdings waren sowohl die Mode- und Gesellschaftsmagazine als auch die Tagespresse der 1920er Jahre voll von Hinweisen auf Modekünstler*innen, Modellhäuser und Modeschauen.

Bald war ihr auch die Ursache des Vergessens klar: die Nationalsozialisten verfolgten ab 1933 auch die prominenten Modekünstler*innen, von denen etliche jüdischer Herkunft waren, aus rassistischen und ideologischen Gründen. Keine der in die Emigration geflüchteten Couturiers kehrten danach wieder nach Berlin zurück. Kessemeier hat nun begonnen zu recherchieren, hat es geschafft, mode- und zeitgeschichtliche Aspekte zu verknüpfen, und ist zu einem faszinierenden Ergebnis  gekommen: glänzend, kunstvoll und selbstbewusst stellt sie die Modestadt Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar. Mit ihrer Arbeit gelang es ihr, „Lebensleistungen zu würdigen, von bewegenden Biographien, von prächtigen Orten der Mode und ganz eigenen modischen Handschriften“ zu berichten. Somit ist dieses Buch „die erste umfassende, wissenschaftlich fundierte Studie zur Modestadt Berlin und ihren führenden Modellhäusern“.

Bevor näher auf den Inhalt eingegangen wird, müssen die Illustrationen erwähnt werden. Es sind elegante, bezaubernde, dezent sinnliche Schwarzweiß-Fotos, die die damaligen einschlägigen Magazine, wie „Elegante Welt“, „Die Dame“, „Sport im Bild“ u.a., geprägt haben. Besonders fällt auf, wie sich die damaligen Stars des deutschen Films, wie Lilian Harvey oder Fritzi Massary, immer wieder abbilden ließen: in Kleidern, die sie in den Filmen trugen, aber auch als Private waren sie gerne bereit, sich als Models zur Verfügung zu stellen.

Die Schauspielerin Lilian Harvey im Januar 1933 an Bord des Schnelldampfers Europa in einem pelzgefütterten Tweed-Complet des Berliner Designers Joe Strassner (Foto: Sammlung Kessemeier)
Die Schauspielerin Lilian Harvey im Januar 1933 an Bord des Schnelldampfers Europa in einem pelzgefütterten Tweed-Complet des Berliner Designers Joe Strassner (Foto: Sammlung Kessemeier)

Der erste Teil des Buches behandelt unter dem Titel „Berlin wird Mode“ das Entstehen der Modestadt Berlin. Da ist vom Aufkommen einer eigenen Handschrift die Rede, auch vom Pariser Einfluss, es geht darum, wo die Modezentren in Berlin örtlich angesiedelt waren, welche Folgen der Erste Weltkrieg hatte, dann sind natürlich die „Goldenen Zwanziger“ ein Thema und die Zeitenwende durch „Arisierungen und staatliche Beraubung“. Der zweite Teil trägt den Titel „Porträts“, hier kann man die Biografien berühmter Modejournalistinnen nachlesen, da werden auch die renommiertesten Modehäuser und Modellsalons ausführlich vorgestellt sowie die Engros-Modellhäuser, Leinen- und Stoffhandlungen und Spezialhäuser für Damenkleiderstoffe.

Fast 700 Seiten stark und reich bebildert ist diese intensive Erinnerung an die Modestadt Berlin, an deren glänzenden Aufstieg und auch an deren tiefen Fall. Man taucht ein in längst vergangene Geschichten, sieht Mode-Bilder, die trotzdem sie zum Teil schon hundert Jahre alt sind, noch immer bezaubern.

Lilian Harvey im modernen Hosenanzug von Joe Strassner. Hollywood 1933 (Foto: Sammlung Kessemeier)
Lilian Harvey im modernen Hosenanzug von Joe Strassner. Hollywood 1933 (Foto: Sammlung Kessemeier)

31.10.2025

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