NEAPEL: „DAS GIBT ES ALSO WIRKLICH“

Im Folgenden werden keine neuen Hymnen und Lobpreisungen zu lesen sein, denn: Wer auch immer weltweit sich literarisch zu Neapel geäußert hat, lobte die Stadt in den höchsten Tönen – da muss von meiner Seite nicht noch mehr hinzukommen. Einleitend nur ein paar Gedanken über Abbild und Wirklichkeit: Wir kennen doch dieses Phänomen, dass wir die berühmten Orte unseres Planeten oft und oft auf Bildern oder in Filmen gesehen haben, und dass dann, wenn man wirklich und wahrhaftig an Ort und Stelle ist, zunächst sofort der Gedanke da ist: „Das gibt es also wirklich!“ Mir persönlich ist es so geschehen am nachmittäglichen Petersplatz in Rom, vor der abendlichen Skyline Manhattans, im vormittäglich kühlen Licht vor dem Taj Mahal und am Fuß der Akropolis vor Gewitterwolken. Neapel aber war doch noch einmal anders, weil eine Stadt am Meer an sich etwas Besonderes ist. Dazu dann der Blick vom Castel SantʼElmo über das Häusermeer und die Bucht bis hin zu den Inseln, die im Dunst noch wahrzunehmen sind. Dieser Blick ist unbeschreiblich. Weil man Wind und Luft und Gerüche und Geräusche weder verbal noch bildlich wiedergeben kann. Es bleibt also hier bei einer Annäherung mit knappen Worten und ganz persönlichen Bildern.

Ein kurzer erster abendlicher Rundgang beginnt vis-à-vis dem Castel dellʼOvo auf der Via Partenope. Partenope ist der historische Name von Neapel und jener von einer der Sirenen aus der Odyssee. Auch ihr gelang es nicht, Odysseus zu verführen, weshalb sie sich ins Meer stürzte. Ihr Leichnam soll in der Gegend des heutigen Neapel ans Land gespült worden sein.
Der Rundgang führt dem Meer entlang, vorbei am Brunnen „Fontana Immacolatella“, hin zum berühmten, 1860 gegründeten „Caffè Gambrinus“, wo man die Gelegenheit hat, Neapels berühmtestes Gebäck zu verkosten: die „Sfogliatella“, eine Blättertasche, gefüllt mit Ricotta und Gries und verfeinert mit verschiedenen Aromen. Danach bleibt nur noch ein erstes Begehen der Piazza Plebiszito, die dann bei Sonnenschein am nächsten Tag ihre ganze Pracht entfalten wird.

Auf dem Weg zum Königspalast zeigt sich über der Bucht der Vesuv, doch zunächst geht es am Palast vorbei, zur Piazza Plebiszito. Seit den 1990er Jahren ist der große Platz autofrei und so ist er in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit anzusehen und problemlos zu überqueren. Betritt man dann den Königspalast, ist man zunächst vom Anblick des prunkvollen Stiegenaufgangs überwältigt. Geht man durch die vielen, vielen Gemächer mit ihren mehr oder weniger interessanten Sehenswürdigkeiten – den Lustern, Gemälden, Tapisserien –, wird man doch immer wieder einen Blick hinauswerfen.
Ein anderes palastähnliches Gebäude, die Galleria Umberto Uno, ein elegantes Einkaufszentrum, liegt gleich neben dem Königspalast. Und das „Teatro di San Carlo“, die neapolitanische Oper, die im 18. Jahrhundert erbaut wurde – angeblich in nur acht oder neun Monaten –, ist direkt an den Palast angebaut, damit der König ohne Umweg dorthin gehen konnte. Wie auch immer man die kurze Bauzeit damals schaffte, das Haus hat auf jeden Fall eine perfekte Akustik, beeindruckt optisch und natürlich bei einer abendlichen Opernaufführung.

Am schönsten ist es eigentlich, durch die Gassen zu flanieren, sich treiben zu lassen und nur zu schauen. Dafür ist Neapel ganz besonders geeignet. Wobei es nicht immer nur leicht und locker dahingeht, da gibt es Wege, bei denen man nicht weiß, ob es Steige oder schon Stiegen sind. Man steigt die Hügel hinauf, fährt dann wieder mit einem Aufzug ein paar Stockwerke hinunter und ist in einer ganz anderen Gegend.
Viele Kirchen brauchen die Neapolitaner offenbar und mindestens ebenso viele Bars zum Ausruhen. „Caffé ist in Neapel Identität, Volksgetränk zum Volkspreis. Da er stark gebrannt und kurz gebrüht und damit relativ koffeinarm ist, kann man ohne Probleme ein halbes Dutzend am Tag schlürfen“, beruhigt der Autor Peter Peter in seinem Buch „Golf von Neapel“ (Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2003).

Höhepunkt eines Neapel-Aufenthalts ist eindeutig der schon erwähnte Blick vom Castel SantʼElmo auf die Stadt, das Meer, die Bucht bis zur Insel Procida und das Land ringsumher. Es ist ein 360-Grad-Blick von da oben. Man besteigt die Funiculare Centrale, eine Standseilbahn, die hinauf ins gutbürgerliche Vomero-Viertel führt. Dann ist der Weg hinauf zum Kastell doch noch mühsam steil bergauf. Der Blick von da oben ist schwer in Worte zu fassen, bleiben wir bei atemberaubend. Man geht rundherum, an der Befestigungsmauer entlang, und genießt einfach das reine Schauen.

Neapel hat auch eine in den Tuffstein gegrabene Unterstadt, die im Laufe der Jahrhunderte zu verschiedensten Zwecken genutzt wurde, als Wasserreservoir, als Versteck und auch zum Geschäfte machen. Wieder am Tageslicht, wird man hier – wie eigentlich überall in der Stadt – mit Neapels wohl prominentestem Produkt, der Pizza „La vera pizza“, konfrontiert. Angeblich 997 erstmals urkundlich erwähnt, entstand sie Mitte des 18. Jahrhunderts, als man die vorher als giftig verschrienen Tomaten schälte, kochte und damit die Pizza bedeckte. Die „Marinara“ – mit Tomaten, Knoblauch, Origano und ein paar Tropfen Olivenöl – war die Pizza, welche die Fischer als Bordproviant mitnahmen, „Margherita“ – mit weißem Mozzarella, grünem Basilikum und roten Tomaten – wurde 1860 der Königin Margherita gewidmet. Die neapolitanische Pizza unterscheidet sich – meiner Meinung nach – durch die Konsistenz von denen im übrigen Europa, der Rand ist nicht so heftig gebacken, gleicht daher eher dem eines Kuchens, die Mitte ist ähnlich weich wie eine Palatschinke, ein Pfannkuchen. Ein anderes typisch neapolitanisches Gebäck sind die Taralli, Teigringe, die verschieden gewürzt sind und gut zum Wein passen.

Irgendwo habe ich gelesen, dass Neapel der perfekte Gegenentwurf zu Venedig sei. Museal, von den Touristen beherrscht die eine Stadt, lebendig, quirlig, immer ganz nahe am Volk die andere. Besonders laut ist es am Platz zwischen den Kirchen Chiesa del Gesù Nuovo und Santa Chiara. Umso mehr  fällt einem die Stille im Kreuzgang von Santa Chiara auf. Dieser Chiostro Maiolicato ist ein Orangenhain, durch den Wege ziehen. An den Wegen stehen Säulen und Sitzbänke, die alle mit Majolikakacheln verkleidet sind: Zitronengelb, olivengrün und azurblau. Und dies ist ein durchaus geeigneter Ort, um den Rundgang durch Neapel zu beenden und auch darüber nachzudenken, was Italien doch für ein herrliches Land ist.

24.5.2024. Alle Fotos © K. Holzer

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