ZU UNRECHT VERGESSEN: J. J. DAVID

Jakob Julius David, 1859-1906 (ÖNB Bildarchiv)

Literarische Qualität und literarischer Erfolg sind zwei Dinge, die – wie die Erfahrung zeigt – durchaus nicht konform gehen müssen. Eines der Beispiele für diesen Umstand ist der heute nahezu vergessene österreichische Autor Jakob Julius David. Er wurde 1859 als Sohn eines jüdischen Mautpächters in Mährisch Weißkirchen (heute: Hranice na Moravě, Tschechische Republik) geboren. Der Vater starb früh, und trotz der prekären wirtschaftlichen Verhältnisse konnte es die Mutter dem Sohn ermöglichen, das Gymnasium zu besuchen. Zum finanziellen Mangel kamen auch gesundheitliche Probleme: Aufgrund einer typhösen Erkrankung wurde Jakob Julius David stark kurzsichtig und in hohem Grad schwerhörig.

1877 kam David nach Wien, um an der Universität Germanistik und Geschichte zu studieren – und er lernte auch die Realität kennen, die sich hinter der prunkvollen Fassade der „Haupt- und Residenzstadt“ verbarg. Denn die tristen Vorstädte, in denen er lebte, waren vom Elend und der Hoffnungslosigkeit des städtischen Proletariats geprägt. Es waren diese Eindrücke von Not und Unrecht, die für Davids literarisches Engagement bestimmend wurden. Aus eigener Erfahrung kannte er das harte und entbehrungsreiche Leben jener Studenten, die ihren Lebensunterhalt mühsam selbst finanzieren mussten. Mit Nachhilfestunden und schlecht bezahlten Schreibarbeiten für die damalige Hofbibliothek (heute Nationalbibliothek) konnte er es sich notdürftig am Leben erhalten. Zeitweise hatte er nicht einmal eine Unterkunft, sondern musste als Obdachloser unter einer Brücke am Wienfluss schlafen. Einige Male konnte er nicht zu Prüfungen antreten, weil er die dafür notwendigen Gebühren nicht aufbringen konnte.

In einem von Davids eindrucksvollsten Büchern, „Am Wege sterben“, spiegelt sich das Leben jener Studenten wider, die all ihre Energie für den Kampf ums reine Überleben verbrauchten und dabei psychisch und physisch zugrunde gingen. Der im Jahr 1900 veröffentlichte Roman erzählt vom Schicksal von fünf Studenten aus dem Sudetenland in Wien. Bis auf den jüdischen Mediziner Siebenschein „sterben alle am Wege“. Auch Siebenschein resigniert, widmet sein Leben aber der Pflicht und wird Armenarzt im Wiener Arbeiterbezirk Ottakring.

„Der Übergang“ ist der zweite große Wien-Roman von Jakob Julius David und gleichzeitig auch eine packende Kriminalgeschichte. In dem 1902 erschienenen Buch geht es um den Untergang einer alten, einst angesehenen bürgerlichen Familie. Den geistig und materiell verarmenden Patriziern wird ein tüchtiger aufstrebender Tischlergeselle gegenübergestellt. In dieser Konstellation bietet der Roman eine literarisch ansprechende sozialkritische Darstellung Wiens abseits der gängigen Fin de Siècle-Klischees.

David hatte, nachdem er einige Zeit Hauslehrer gewesen war, den Weg zum Journalismus gefunden. Zunächst war er bei der „Neuen Wiener Illustrierten Zeitung“, dann beim „Neuen Wiener Journal“ tätig, bis er 1903 eine gesicherte und angesehene Stellung bei der „Wiener Zeitung“ erhielt. Außerdem verfasste er für die von Martin Buber herausgegebene Schriftenreihe „Die Gesellschaft“ einen eigenen Band zum Thema „Die Zeitung“. Darin analysierte der Autor, ähnlich kritisch wie Karl Kraus, die modernen Tendenzen in diesem Bereich der Medienlandschaft. Allerdings litt er unter dem Druck der journalistischen Arbeit, er fühlte sich zunehmend ausgebrannt, und seine freie literarische Arbeit fiel ihm immer schwerer.

1906 verstarb Jakob Julius David, erst 47 Jahre alt, in Wien. Kein Geringerer als Stefan Zweig verfasste einen Nachruf, in dem er die Ignoranz des literarischen Publikums anklagte: „Was er uns sagte, muss heute öffentlich gesagt sein: wie man einen Dichter, einen der Besten in Österreich, missachtet hat. Man muss anklagen. Anklagen ein deutsches Lesepublikum und seine Führer, dass es ihm nicht vergönnt hat, auf den vollkommensten Werken die Worte ‚zweite Auflage‘ zu lesen.“

Texte von Jakob Julius David findet man kostenfrei online im Projekt Gutenberg und im Internet Archive.

2.5.2020

Die Themen der Flaneurin:
Nach oben scrollen