DAS GROSSE REINEMACHEN DER WESTLICHEN ZIVILISATION

Abb.: iStock by Getty Images/gitusik
Abb.: iStock by Getty Images/gitusik

Dass wir uns täglich mit Wasser und Seife waschen oder duschen, ist für uns heute selbstverständlich. Wie ist es eigentlich dazu gekommen und wie lange hat es gedauert, bis dem so wurde? Der kanadische Medizinhistoriker Peter Ward ist diesen Fragen intensiv nachgegangen. Er hat dazu eine große Menge Dokumente und Erzählungen, Statistiken und Geschichten, Anekdoten und Umfragen aus verschiedenen Ländern (USA, England, Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien) durchforstet. Schließlich hat er eine „moderne Kulturgeschichte“ des „sauberen Körpers“ geschrieben. Diese liest sich spannend, birgt manche Überraschungen und ist für eine breite LeserInnenschaft sehr zu empfehlen.

Sauberkeitsrituale und Zivilisationsprozess
Sauberkeit und Reinlichkeit sind, wie Essgewohnheiten, Tischsitten oder Peinlichkeitsgefühle, ein Teil des „Zivilisationsprozesses“ oder der modernen Mentalitätsgeschichte, wie sie etwa von Norbert Elias, Georg Simmel oder Mary Douglas beschrieben wurden. Es handelt sich dabei um langsame, nicht immer lineare, manchmal auch sprunghafte, kollektive und individuelle Veränderungen von klassen- und schichtenbezogenen Lebenspraktiken, Gefühlslagen, Empfindlichkeiten, Verhaltensweisen und Umgangsformen, insbesondere solchen, welche ab einem bestimmten Punkt als „hygienisch richtig“ erkannt und verfestigt werden. Nach anfänglichem, teils erheblichem Druck durch gesellschaftlich-moralische Instanzen, staatliche Stellen, wissenschaftliche Experten und aufkommende Moden werden aus der gemeinsamen, öffentlichen Hygiene schließlich private Formen der Selbst-Gesundheitsvorsorge.

Von der adeligen Leibwäsche zur bürgerlichen Körperreinigung
Sicherlich kannten schon die alten Griechen oder Römer Wasch- und Sauberkeitsrituale. Auch Seifen werden seit über 4.000 Jahren hergestellt. Aber sie dienten früher kaum zur Körperpflege, sondern vor allem der Reinigung von Räumen.

Peter Ward untersucht in seinem Buch die Kultivierung von Hygiene und Sauberkeit der westlichen Zivilisation innerhalb der letzten vier Jahrhunderte und beginnt dabei im 16./17. Jahrhundert mit der häufig gewechselten, sauberen, weißen (Unter-) Leibwäsche des hohen Adels. Im Unterschied zu diesem trugen die sogenannten einfachen Leute zu jener Zeit keine Unterwäsche. Wasser und Seife zur Körperhygiene spielten für den Adel zudem kaum eine Rolle. Stattdessen standen trockene Abreibungen der Haut, Öle, Puder und Parfüms im Vordergrund. Ganzkörperbäder waren damals eine Sache von Medizin und Heilkunde.

Willem Joseph Laquy: Toilette einer jungen Frau, 1771. Rijksmuseum, Amsterdam.
Willem Joseph Laquy: Toilette einer jungen Frau, 1771. Rijksmuseum, Amsterdam

Erst mit dem im 17. und 18. Jahrhundert aufkommenden Bürgertum traten in den Städten die sonn- und feiertäglichen „Katzenwäschen“ von Händen und Gesicht, sowie auch eine noch verschämte Intimpflege auf den Plan. Regelmäßiger fand damals die gegenseitige, kollektive Entlausung statt. Auf dem Lande war man damals noch weniger zimperlich gegenüber Schmutz oder kaum geruchsempfindlich. Kräftiger Körpergeruch wurde bei Männern bisweilen eher als Ausdruck von Kraft oder sexueller Attraktivität wahrgenommen. Etwas spöttisch hieß es damals, dass der Bauer nur dann bade, wenn er ins Wasser gefallen sei.

Medizinische Hygieneexperten setzen sanitäre Maßnahmen durch
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden erste städtische, nach außen abgeschlossene Flussbäder, Badeschiffe, sowie Schwimmschulen oder Badeanstalten. Man begann etwas arrogant zu unterscheiden zwischen den „Gewaschenen und Ungewaschenen“, inklusive den damit verbundenen moralischen Überlegenheitsgefühlen. Im 19. Jahrhundert gesellte sich zu den Sauberkeitsvorstellungen der Oberschicht noch die wissenschaftliche Expertise der medizinischen Experten hinzu. An die Stelle von früheren „Miasmen-Theorien des Gestanks“ trat jetzt eine „Keimtheorie der infektiösen Bakterien“, vertreten durch anerkannte medizinische Experten wie Pasteur, Koch, Semmelweis oder Lister. Diese Expertise sollte helfen, die Denkgewohnheiten und Lebensbedingungen der Massen vernünftig zu ändern und überkommene ländliche Traditionen abzuschaffen.

Medizinisch richtiges Händewaschen (Aus: Hunter Robb, Aseptic Surgical Technique, Philadelphia 1902, S. 55.)
Medizinisch richtiges Händewaschen. Aus: Hunter Robb, Aseptic Surgical Technique, Philadelphia 1902, S. 55

Von liberalen, karitativen und sozialistischen Initiativen und Organisationen wurden jetzt die beengten, ungesunden Arbeiterquartiere der Städte verstärkt und detaillierter inspiziert. Auf diese Untersuchungen folgten öffentliche Berichte mit Forderungen nach dringend notwendigen sozialreformerisch-politischen Initiativen. Schließlich kam es, auch mit Hilfe von großen Mengen staatlichen Kapitals, zu einem enormen infrastrukturellen Ausbau der städtischen Wasser- und Abwassernetze auch in den Gebäuden und Wohnungen der Arbeiterklasse. Die medizinisch-wissenschaftliche, hygienische Vernunft sollte dazu dienen, Krankheiten der Armen zu lindern, das Risiko von Infektionen zu mindern und die allgemeine Gesundheit zu verbessern.

Gesündere Lebens- und Wohnverhältnisse erforderten zudem sanitäre Veränderungen von Toiletten und Wasserleitungen. Die großen Mengen der entstehenden Abwässer wurden noch tonnenweise in die Flüsse der Städte abgeleitet. Diese Praxis brachte neue Herausforderungen mit sich, um die Risiken der überall verbreiteten Ausscheidungen, des Abfalls und Mülls in der Luft, im Wasser, auf den Straßen, der Kleidung, der Haut oder in der Nahrung zu bekämpfen und zu beseitigen. Damit ging auch ein Kampf um die „moralische Reinheit“ einher. Man sprach damals ironisch davon, dass die „Schmutzpartei“ in die Kneipen gehe und die „Sauberkeitspartei“ in die Kirchen. Sauberkeit wurde zusehends sozial mit einer anständigen Lebensweise gleichgesetzt.

Aus der Sauberkeitsaufklärung entwickelt sich zusehends eine Hygienepflicht
Nach den anfänglichen Kampagnen und sanitären Maßnahmen des Staates, welche auf gutem Zureden, verbunden mit wissenschaftlicher Aufklärung beruhten, wurde später vermehrt Zwang eingesetzt. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts war „Sauberkeit unter Aufsicht“ ein fester Bestandteil des Regiments in Militär, Gefängnis, Armen- und Waisenhäusern, Schule und Krankenhaus geworden. Sauberkeit wurde jetzt auch gleichgesetzt mit innerer Ordnung. Körperhygiene wurde zum Pflichtfach des Schulunterrichts. Neue schulärztliche Untersuchungen traten auf den Plan. Auch in den Organisationen der Jugendbewegung (z.B. Pfadfinder) standen „Körperpflege und Leibeserziehung“ hoch im Kurs. Die Kinder und Jugendlichen sollten diese Ideen der Sauberkeit danach zurück in ihre Familien tragen.

Um 1926: Waschraum in der Städtischen Tagesheimstätte für Kinder, Wien 10., Troststraße 98. (Foto Theo Bauer). Wien Museum
Um 1926: Waschraum in der Städtischen Tagesheimstätte für Kinder, Wien 10., Troststraße 98. (Foto Theo Bauer). Wien Museum

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts war durch enorme sanitäre Baumaßnahmen ausreichend fließendes Wasser in vielen privaten Wohnungen vorhanden. Schrittweise wurde dadurch auch die private Körperhygiene in Badezimmern oder gesonderten Toiletten, als intime Körperpflege, möglich und selbstverständlicher. Neue Baumaterialien für diese sanitären Einrichtungen ersetzten das frühere Steingut durch emailliertes Gusseisen und senkten somit die entstehenden Kosten. Dokumente zeigen, dass jedoch noch Anfang des 20. Jahrhunderts nur etwa ein Prozent der Bevölkerung in den Industrieländern einmal pro Woche ein Bad nehmen konnte.

In den kommenden Jahrzehnten ermöglichten neue wasserwirtschaftliche und energiebezogene Technologien, dass es zunehmend mehr fließendes warmes Wasser gab. Ab den 1960er Jahren standen deutlich mehr private Badezimmer und Duschgelegenheiten zur Verfügung. Sauberkeit wurde jetzt, über den gesundheitlichen Aspekt hinaus, auch als Teil der Schönheitspflege verstanden. Frühere Gewohnheiten von bürgerlichen Minderheiten wurden immer mehr zu allgemeinen Gewohnheiten. So wurde etwa Händewaschen vor dem Essen, nach dem Aufstehen oder vor dem Schlafengehen langsam zur üblichen Routine.

Seifenproduktion und Waschmittel, die Mühen der Flusswäscherei und erschwingliche Vollwaschautomaten
Neben den Entwicklungen der persönlichen Körperhygiene zeichnet Peter Ward in seinem Buch auch die Geschichte der modernen Wäschepflege nach. Diese fast ausschließlich von Frauen ausgeübte Tätigkeit war bis ins 20. Jahrhundert meistens auch mit großen körperlichen Anstrengungen verbunden. In aufwendigen Schritten mussten die Frauen an Flüssen, Wasserläufen oder Dorfbrunnen die Wäsche vorbereiten und mühsam reinigen. Die damit verbundenen Frauenversammlungen waren jedoch auch soziale Treffpunkte, um etwaige soziale „schmutzige Wäsche“ gemeinsam zu bereden oder auch symbolisch den Männern dort „den Hintern zu versohlen“. Ward beschreibt solche große Wäsche-Rituale als Reinigung für „Geist und Seele“.

Martín Rico y Ortega: Lavanderas de La Varenne, Francia (Die Wäscherinnen von La Varenne, Frankreich), um 1865
Martín Rico y Ortega: Lavanderas de La Varenne, Francia (Die Wäscherinnen von La Varenne, Frankreich), um 1865, Ausschnitt. Museo Nacional del Prado, Madrid

Ab dem 19. Jahrhundert wurden dann in den Städten vermehrt öffentliche Waschküchen eingerichtet, die teilweise entlang von stärker verschmutzten Flüssen oder Kanälen lagen. Als dann zunehmend ein größeres Wäschereigewerbe entstand, wurde dies in Trabantenregionen an den Rändern der Städte verbannt.

Die zunehmende Nachfrage nach Seifen und Waschmitteln verlagerte deren Produktion ab Mitte des 19. Jahrhunderts aus kleinen Manufakturen in die neu entstehende Seifenindustrie. Neue chemische Verfahren ersetzten weitgehend die früheren natürlichen Grundstoffe durch Alkalisalze und tierische Fettsäuren. Erste industrielle Seifen und Waschmittel wurden, unter fast mythologisch-symbolträchtigen Namen wie „Ivory“ (Elfenbein) oder „sunlight“ (Sonnenlicht – bzw. mit dem eingedeutschen Produktnamen „Sunlicht“) vermarktet.

Johannes Handschin: Plakatwerbung für Persil, 1929.
Johannes Handschin, Plakatwerbung für Persil, 1929

Ende des 19. Jahrhunderts brachte die Firma Henkel das deutsche „Persil“ (abgleitet von Per-borat, als Bleichmittel, und Sil-kat, als Schmutzlöser) auf den Markt. Es entstanden ein zunehmender Konkurrenzdruck und ein damit verbundener Werbeaufwand für diese sogenannten „selbsttätigen Waschmittel“.

Anfang des 20. Jahrhunderts kamen in den USA die ersten Waschmaschinen in den Handel. Sie waren mit hohen Anschaffungskosten verbunden und benötigten spezielle Anschlüsse. Der erste Vollwaschautomat kam 1937 heraus. 1950 besaßen bereits etwa 40% der amerikanischen Haushalte solche Waschmaschinen. Es sollte jedoch noch etwa zwei weitere Jahrzehnte dauern, bis diese Maschinen für die Mehrheit auch der europäischen Industrieländer erschwinglich wurden.

Ein elektrischer „Sprudelwascher“, der, wie es im Begleittext hieß, „dem Waschtag seine Schrecken“ nahm, bei dem jedoch noch viel an manueller Arbeit nötig war. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Technik im Haushalt, 15.2.1931, S. 5
Ein elektrischer „Sprudelwascher“, der, wie es im Begleittext hieß, „dem Waschtag seine Schrecken“ nahm, bei dem jedoch einiges an zusätzlicher manueller Arbeit nötig war. In: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Technik im Haushalt, 15.2.1931, S. 5. ÖNB/ANNO

Waschmittelkriege, Werbespots, Seifenopern und Persilscheine
Peter Ward beschreibt in seinem Buch auch die „Waschmittelkriege“ des 20. Jahrhunderts, welche mit enormen Werbekampagnen erst in den Print- und später in den Telemedien geführt wurden. So entstanden in den USA beispielsweise ganze Fernsehserien, welche durch regelmäßige Waschmittelwerbungen unterbrochen wurden („soap operas“). Auch die deutsche Firma Henkel produzierte Werbefilme, so etwa den abendfüllenden Streifen: „Wäsche – Waschen – Wohlergehen“. Dieser, an dem etliche damalige Kinostars mitwirkten, erreichte – bei Gratiseintritt – zwischen 1932 und 1939 ein Rekordpublikum von rund 30 Millionen und wurde nicht nur auf Deutsch, sondern auch in sechs weiteren Sprachen und in länderspezifischen Varianten produziert.

Bericht über jene Variante des Films „Wäsche-Waschen-Wohlergehen“, die speziell für den österreichischen Markt produziert wurde. In: Die Bühne, Februar 1934, Heft 369, S. 35. ÖNB/ANNO
Bericht über jene Variante des Films „Wäsche-Waschen-Wohlergehen“, die speziell für den österreichischen Markt produziert wurde. In: Die Bühne, Februar 1934, Heft 369, S. 35. ÖNB/ANNO

„Weiß-waschen“, als Ausdruck von Reinheit, Wahrheit, Unschuld, gepaart mit wissenschaftlich angepriesener Keimbekämpfung, Frische und Duft prägten jetzt das Bild der Waschmittel. Im übertragenen Sinn entstand aus dieser Henkel-Werbung in der Nachkriegszeit der Begriff des „Persilscheins“. Zunächst verwies der Ausdruck auf die vermeintlich „weiße Weste“ vieler zweifelhafter Gestalten aus der NS-Zeit, der „Persilschein“ war jene Bescheinigung, die von den Entnazifizierungsbehörden ausgestellt wurde. Bis heute wird der Begriff in einem allgemeineren Sinn verwendet und bedeutet, so der „Duden“: „Entlastung[szeugnis]; Bescheinigung, dass sich jemand nichts hat zuschulden kommen lassen“.

So wie saubere Kleidung zum Schlüssel der sozialen Anerkennung wurde, so prägte später, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Schönheitsindustrie das Bild des „zivilisierten Menschen“, welcher reichlichen Gebrauch von Seifen, Cremes, Haarwaschmitteln, Tönungen, Sprays und Lotionen machte. „Feinseifen“ lösten zunehmend die alten „Kernseifen“ ab und verhießen jetzt mehr gute Düfte, Sinnesfreuden und sogar Chancen zur Verführung, unterstützt durch dermatologische Botschaften über die zu erreichende reine Haut und neue „Beauty“.

Plakatwerbung für Rexona Seife, 1957. Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung
Plakatwerbung für Rexona Seife, 1957. Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung

Mit der Entwicklung neuer Plastikmaterialien wurde ab den 1960 die Idee des „hygienischen Abwaschens von schnell zu reinigenden Oberflächen“ in Haushalt und Arbeitsplatz breitere Alltagspraxis. Mit ihr kamen neue Generationen von flüssigen Scheuer- und Putzmittel, neue synthetische Putzlappen und Plastikhandschuhe, sowie Desinfektionssprays breiter in Umlauf.

Erfolge der Vergangenheit und zunehmende Zukunftsprobleme: Umweltverschmutzung und globaler Wassermangel
Durch die beschriebenen, jahrhundertelangen Sanierungsmaßnahmen von Wohngebieten, die allgemeine Verbreitung von persönlicher Körperhygiene, sowie die erschwingliche Mechanisierung der Wäschepflege ist es auf erstaunliche Weise gelungen, die öffentliche und private Gesundheit der breiten Bevölkerung zu verbessern. Diese Erfolge lassen sich beispielsweise am immensen Rückgang der allgemeinen Kindersterblichkeit und der Infektionskrankheiten, sowie an den erheblichen Fortschritten in der modernen Seuchenbekämpfung ablesen. Der Wert dieser hygienischen Verbesserungen, die teilweise auch gegen den starken Widerstand einzelner Lobby- und Interessengruppen erkämpft werden mussten (wie z.B. gegen die traditionellen privaten Unternehmen zur Müll- und Unratsbeseitigung in den frühen Städten; s. Smith, V.), kann kaum hoch genug eingeschätzt werden.

Heute ist der angestrebte, „saubere Körper“ zur Alltäglichkeit geworden. Wir verbringen jetzt im Schnitt ca. 10 Stunden pro Woche mit Körperpflege in den weitgehend jeder Wohnung angegliederten Badezimmern. Und doch haben sich auch einige neue Probleme aus diesen Errungenschaften der Hygiene entwickelt. Immer mehr Menschen, welche eine Überängstlichkeit vor den allgegenwärtigen Bakterien entwickelt haben, werden von Waschzwängen geplagt. Zu intensive Waschrituale können bei anderen die natürlichen Schutzmechanismen der Haut beschädigen oder auch mikrobiologische Allergien befördern. Durch chemische Aufbereitungen der massenhaft verwendeten Waschprodukte ergeben sich stärkere Umweltprobleme. Seit ca. 1980 werden den Wasch- und Pflegeprodukten sogenannte Mikroplastikstoffe (in flüssiger oder fester Form) beigefügt. Diese gelangen rund um den Globus in die Gewässer, sind kaum abbaubar und werden, vermittelt durch Pflanzen und Tiere, zum Bestandteil der menschlichen Nahrungskette. Neue Untersuchungen zeigen, dass dieses Mikroplastik im menschlichen Körper immer häufiger zu chronischen Entzündungen beiträgt.

Wir leben in einer Zeit, in der weltweit ca. 2,2 Milliarden Menschen unter akuter Wasserknappheit leiden. 80 % der weltweiten Abwässer sind heute weiterhin ungeklärt und belasten die Gewässer. In der aktuell zunehmenden Energiekrise wird überall zum Wasser- und Stromsparen aufgerufen. Die vermehrten Hitzewellen führen, auch in den wasserverwöhnten Industrieländern, zu ungewohnten Auflagen und Einschränkungen des täglichen Wasserverbrauchs, sowohl in öffentlichen als auch in privaten Lebensbereichen

Was vor knapp dreieinhalb Jahrhunderten als Kampf gegen Schmutz und Unrat und für saubere Umwelten und Körper begonnen hat, stößt heute an neue, unerwartete Grenzen. Um den anhaltenden „Zivilisationsprozess“ der Hygiene und Sauberkeit besser verstehen und einordnen zu können, empfehle ich allen die Lektüre von Peter Wards Buch. Das Großreinemachen der globalen Zivilisation ist in eine neue Phase eingetreten.

Peter Ward: Der saubere Körper. Eine moderne Kulturgeschichte. Aus dem Englischen übersetzt von Dominik Fehrmann. Berlin, Edition frölich, 2020.

Weitere Literatur zum Thema:
Corbin, Alain: Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs. Frankfurt 1988.
Douglas, Mary: Ritual, Tabu und Körpersymbolik: sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur. Frankfurt 1993.
Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. ‎ 2 Bände, Frankfurt 1997.
Simmel, Georg: Exkurs über die Soziologie der Sinne. Berlin 1908.
Smith, Virginia: Clean. A history of personal hygiene and purity. Oxford, 2007.
Vigarello, Georges: Wasser und Seife, Puder und Parfüm. Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter. Frankfurt 1988.

Anmerkung: Die Abbildungen in diesem Beitrag stellen eine thematische Ergänzung dar und stammen nicht aus dem rezensierten Buch „Der saubere Körper“. Bildrecherche: B. Denscher

29.7.2022

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