KÜCHEN-GESCHICHTEN

„Zwischen Ambition und Rebellion“ lautet der Titel eines Buches über die Karrieren von Berliner Kochbuchautorinnen. Das fällt einem „gelernten Wiener“ gleich einmal auf. Denn im Zusammenhang mit Wiener Kochbuchautorinnen ist der Begriff Rebellion höchstwahrscheinlich noch nie gefallen. Ambition schon, aber Rebellion? Nein. Wie auch immer: Es ist interessant, der Autorin des Buches, Birgit Jochens, dabei zu folgen, wie sie zum einen zehn Biografien von Berliner Pionierinnen der Kochbuchliteratur über vier Jahrhunderte hinweg nachzeichnet, und zum anderen die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen beschreibt, unter denen diese Pionierinnen tätig waren.

Ludwig Hohlwein, Plakat (Ausschnitt), 1909 (Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg)
Ludwig Hohlwein, Plakat (Ausschnitt), 1909 (Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg)

Birgit Jochens hat die besten Voraussetzungen dafür, so ein Buch zu verfassen, ist sie doch Germanistin, Historikerin und Kunsthistorikerin, außerdem war sie mehr als zwei Jahrzehnte lang Leiterin des Berliner Museums Charlottenburg-Wilmersdorf. Sie beginnt ihr Buch im ausgehenden 18. Jahrhundert, denn schon damals gab es so etwas wie einen Kochbuch-Boom. Dieser nahm noch weiter zu, und so vermerkte das „Dortmunder Allgemeine Kreisblatt“ im November 1857, dass „eine Frau, wenn sie jeden Tag 16 Stunden lesen würde, 953 Jahre alt werden müsse, um alle nur in Deutschland erschienenen Kochbücher gelesen zu haben.“

Die Berliner Pionierinnen der Kochbuchliteratur entdeckten, so Birgit Jochens, dass man aus dem Verfassen von Kochbüchern eine Profession machen, damit Anerkennung erhalten und eigenes Geld verdienen konnte. Sie alle waren auf „der Suche nach der Rolle der Frau“, schreibt Jochens im Vorwort, „wahre Emanzipation jedoch blieb für die meisten noch in weiter Ferne. Aber im Aufbruch waren sie allemal.“

Eröffnet wird das Buch mit der Biografie von Friederike Helene Unger, die vermutlich 1751 als außereheliche Tochter eines Grafen von Rothenburg geboren wurde und um 1785 Johann Friedrich Gottlieb Unger heiratete, der später einer der führenden Buchdrucker und Verleger Deutschlands wurde. Friederike Helene Unger verfasste ein halbes Dutzend Romane, darunter den mit autobiografischen Zügen ausgestatteten Bildungsroman „Julchen Grünthal“, den Birgit Jochens als „ein ungewöhnlich komplexes Stück Literatur“ beurteilt. Außerdem schrieb Unger Possen, ein Lustspiel, sie übersetzte Molière und Rousseau – und sie brachte 1785 das „Neueste Berlinische Kochbuch oder Anweisung, alle möglichen Speisen, Saucen und Gebackenes schmackhaft zuzurichten“ heraus, das in der Folge noch in weiteren Ausgaben erschien.

Kochen am offenen Feuer, Lithografie aus Gustav Holting „Die kleine Hausfrau“, Berlin 1845.
Kochen am offenen Feuer, Lithografie aus Gustav Holting „Die kleine Hausfrau“, Berlin 1845.

Zwar schreibt Unger in der Vorrede zu ihrem Buch, dass die darin vorkommenden Speisen „so deutlich und ausführlich beschrieben“ seien, dass jede noch so ungeübte Frau „nach diesen Anweisungen kochen“ könne, auch wenn sie „vorher nicht die geringste Anleitung dazu gehabt hatte.“ Aus heutiger Sicht fällt allerdings auf, dass genaue Angaben über die Menge von Zutaten und Hinweise, wie lange und bei welcher Temperatur ein Gericht gegart werden müsse, meist fehlen. Die sei, so erklärt Birgit Jochens, „zumindest teilweise den Zeitumständen geschuldet. Denn natürlich ist es schwierig, Garzeiten und Hitzegrade zu benennen, wenn auf einer offenen Kochstelle oder einem einfachen ‚Sparherd‘ mit Öffnungen in der Herdplatte, in die man Töpfe und Kessel einsetzen konnte, gekocht wurde“.

Neben 57 Suppenrezepten – eines davon ist in Jochens‘ Buch abgedruckt – enthielt das „Neueste Berlinische Kochbuch“ auch zahlreiche Rezepte für Fleischgerichte. Denn, so vermerkt Jochens, Fleisch war damals „ein bevorzugtes Nahrungsmittel – jedenfalls bei denen, die es sich leisten konnten. Mit dem Verzehr markierte man seinen Stand.“ So etwa zeigen erhaltene Speisezettel und Abrechnungen aus einem Berliner Waisenhaus, dass die dort zuständigen Beamten „jährlich unvorstellbare 184 kg“ Fleisch verzehrten, „während sich die Waisenhauskinder mit 41 kg begnügen mussten, und davon war ohnehin die Hälfte minderwertiges ‚Geschlinge‘“. Heutzutage liegt der durchschnittliche jährliche Fleischkonsum in Deutschland, Österreich und der Schweiz um die 50 bis 60 kg pro Kopf – und auch das gilt als sehr viel.

Fritz Behnke, Plakat, 1936 (Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg)
Fritz Behnke, Plakat, 1936 (Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg)

Im Anschluss an das Kapitel über Friederike Helene Unger beschäftigt sich Birgit Jochens unter dem Titel „Von Schwarzen Küchen, seltsamen Küchenhilfen und Sparherden“ damit, wie sich das Kochen am Herd im Laufe der Jahrhunderte verändert hat. Bei den „schwarzen Küchen“ handelt es sich übrigens um Küchen, „in denen die Speisen auf offener Flamme zubereitet wurden.“

Das Gestaltungsprinzip des Buches besteht darin, dass jeweils auf die Präsentation einer Kochbuchautorin – insgesamt sind es zehn – ein Abschnitt zu einem Thema aus Bereichen wie Sozial- bzw. Kulturgeschichte, Lebensmittelkunde, kulinarische Traditionen usw. folgt. So geht es da um den Wein in Berlin ebenso wie um die Erbswurst, um den Lebensmittelhandel aber auch um die Verfälschung von Lebensmitteln, um die deutsche Vorliebe für Suppen und die große Leidenschaft der Berliner für Krebse, um die einst als exotisch empfundenen und längst überaus populären italienischen Nudelgerichte und – unter dem Titel „Kinderkost-Kinderfrust“ – darum, was alles im Lauf der Zeit als gesunde Nahrung für Kinder und Jugendliche galt.

Interessant ist auch, in wie vielen verschiedenen Berufen all diese Kochbuchautorinnen tätig waren – von der Schriftstellerin, Journalistin und Verlegerin bis zur Lehrerin. Etliche von ihnen waren in der Frauenbewegung engagiert – so etwa Lina Morgenstern. Man nannte sie „die Suppenlina“, weil sie, die auch im Sozialbereich überaus aktiv war, 1866 die Einrichtung der ersten Berliner Volksküche initiierte. Morgenstern war überdies Kinderbuchautorin, verfasste zahlreiche Schriften zu pädagogischen und sozialkritischen Themen und brachte 1881 ein „Illustriertes Universal-Kochbuch für Gesunde und Kranke“ heraus, das mehrfach neu aufgelegt und auch ins Englische und Niederländische übersetzt wurde.

Die in Leipzig erscheinende „Illustrirte Zeitung“ brachte am 26.9.1868, S. 211ff., einen ausführlichen Beitrag über Lina Morgenstern als „Gründerin der Berliner Volksküche“. Die Illustration dazu stammt von Hermann Scherenberg.
Die in Leipzig erscheinende „Illustrirte Zeitung“ brachte am 26.9.1868, S. 211ff., einen ausführlichen Beitrag über Lina Morgenstern als „Gründerin der Berliner Volksküche“. Die Illustration dazu stammt von Hermann Scherenberg.

Die jüngste in der Reihe der von Birgit Jochens vorgestellten Kochbuchautorinnen ist Ursula Winnington. Mit ihren ab den 1970er Jahren in der DDR erschienenen Kochbüchern erreichte sie Rekordauflagen und wurde die „Kochqueen des Ostens“ genannt. Birgit Jochens ist klar, womit Winnington damals in der DDR Erfolg hatte: „Es ist die ungewöhnliche Melange von Rezepten aus aller Welt, kulturhistorischen Anekdoten und augenzwinkernd vorgetragenem Räsonnement über die aphrodisierende Wirkung von Lebensmitteln“. So heißt eines der Bücher „Köchelei fürs Paradies“. Winnington ließ sich da genüsslich über den Spargel aus, forschte auch in alten Kräuter-, Hexen- und Zauberbüchern, welche Wirkungen denn Anis, Kardamom und Kerbel hätten. Aber sie verfasste auch ein „Kleines Kochbuch für Kinder“ und ein „Kleines Gewürzbuch für Kinder“. Als Beispiele für Winnington-Rezepte bringt Birgit Jochens eines für einen tschechischen Apfel-Semmelauflauf und eines für eine georgische Pflaumensoße. Wie überhaupt das gesamte Buch mit zahlreichen Rezepten und vielen Illustrationen ausgestattet ist.

Illustration von Rita Bellmann aus Ursula Winningtons „Kleinem Kochbuch für Kinder“, Berlin 1977. Abb. aus dem Band „Zwischen Ambition und Rebellion“, zur Verfügung gestellt vom Verlag für Berlin-Brandenburg
Illustration von Rita Bellmann aus Ursula Winningtons „Kleinem Kochbuch für Kinder“, Berlin 1977. Abb. aus dem Band „Zwischen Ambition und Rebellion“, zur Verfügung gestellt vom Verlag für Berlin-Brandenburg

Man merkt Birgit Jochens die Freude am Verfassen dieses Buches über die Berliner Kochbuchautorinnen aus vier Jahrhunderten an und zieht selbst Gewinn daraus. Weil es doch interessant und oft auch berührend ist, all diese Lebensgeschichten erzählt zu bekommen und darüber hinaus zu erfahren, wie sich das Kochen im Laufe der Zeit entwickelt hat.

Birgit Jochens: Zwischen Ambition und Rebellion. Karrieren Berliner Kochbuchautorinnen. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2021.

23.10.2021

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