WARUM FREUT SICH DER SCHNEEKÖNIG?

Die Redensart wird gerne verwendet: „Sich freuen wie ein Schneekönig“. Doch wer ist dieser Schneekönig? Und warum freut er sich so sehr?

Der, um den es hier geht, ist kein Gebilde aus Schneekugeln, keine Märchenfigur, keine historische Persönlichkeit[1] und auch kein Drogenboss[2]. Es handelt sich um einen kleinen Vogel, der den wissenschaftlichen Namen „Troglodytes troglodytes“ trägt. Besser bekannt ist er als Zaunkönig.

Zaunkönig. Foto: iStock by Getty Images /Andyworks
Zaunkönig. Foto: iStock by Getty Images /Andyworks

Warum aber Schneekönig? Das war der früher übliche Name. Die Assoziation zum Schnee kommt daher, dass der Vogel auch im Winter sein Revier nicht aufgibt und sich weiterhin bemerkbar macht. Er „bleibt bei uns, mag es stürmen und schneien, wettern und frieren, wie es will. Wenn im Winter Finken und Ammern sich verkriechen, wenn selbst Sperlinge verdrießlich unter dem Dachsimse sitzen und die Federn sträuben“, dann springt der Schneekönig „munter und frisch durch Zäune und Hecken“, heißt es dazu im 1888 erschienenen „Deutschen Lesebuch für höhere Mädchenschulen“[3].

Diese winterliche Präsenz führte außerdem dazu, dass der kleine Vogel auch eine Rolle im Rahmen der gängigen Volksweisheiten bekam: „Der Schneekönig, um die Häuser erscheinend, kündigt Kälte an“[4], er „muss also Vorempfindungen von der Witterung haben, und ist also ein kleiner Wetterprophet anzusehen.“[5]

Zwar ist der Zaun- bzw. Schneekönig mit einer Länge von nur neun bis zehn Zentimetern und einer Flügelspannweite von dreizehn bis siebzehn Zentimetern einer der kleinsten in Europa lebenden Vögel, dafür aber ist er, im Verhältnis zu seiner Körpergröße, der allerlauteste: Er kommt auf annähernd neunzig Dezibel und ist bis zu einem halben Kilometer weit zu hören. Wenn er also im tiefsten Winter laut loslegt, dann kann das tatsächlich den Eindruck erwecken, dass sich keiner so sehr freut wie der Schneekönig.

Zaunkönig. Foto: iStock by Getty Images/ bearacreative
Zaunkönig. Foto: iStock by Getty Images/ bearacreative

Bleibt die Frage, was es denn mit dem königlichen Status auf sich hat, den man dem lauten Winzling im Deutschen zugeteilt hat. Im Englischen heißt er „wren“ – und im Althochdeutschen „wrendo“ bzw. verkleinernd „wrendilo“. Dass dieser Name von „königlichen“ Bezeichnungen verdrängt wurde, geschah, so erklären es die Brüder Grimm in ihrem Wörterbuch, als „die antike Königsfabel in Deutschland bekannt geworden war“[6]. Mit der „antiken Königsfabel“ ist eine Geschichte gemeint, die schon bei Äsop zu finden ist und die in der Folge immer wieder neu erzählt wurde.

Es geht dabei darum, dass die Vögel eine Königswahl abhielten: Wer am höchsten fliegen könne, sollte gewinnen – und es schien klar zu sein, dass dies der Adler war. Allerdings hatte sich der Zaunkönig unbemerkt (er wiegt ja kaum mehr als zehn Gramm) auf den Rücken des Adlers gesetzt. Als dieser den höchsten Punkt seines Fluges erreicht hatte, war der Zaunkönig aufgestiegen und somit noch höher geflogen und reklamierte Sieg und Königswürde für sich. Ob ihm dies ohne weiteres zugesprochen wurde oder ob er mit der Bezeichnung „König“ nicht eher verspottet wurde, das wird in den verschiedenen Erzählungen unterschiedlich dargestellt. Auf jeden Fall erlangte die Geschichte vor allem im deutschen Sprachraum große Popularität (so etwa machten die Brüder Grimm ein Märchen daraus), wobei die fabeltypische Moral in der Äsop-Übersetzung von August Hausrath lautete: „Man darf nicht großen Männern ihren Ruhm entreißen wollen, sondern muss danach streben, dass sie uns aus freundschaftlichem Wohlwollen Ruhm und Ehre zuerteilen. Denn, wie Platon sagt, wer nicht richtig gedient hat, kann auch nicht richtig herrschen“[7].

Der Schneekönig freute sich auf jeden Fall lautstark über seinen Sieg.

Abb.: iStock by Getty Images/lilkar
Abb.: iStock by Getty Images/lilkar

[1] „Schneekönig“ war während des Dreißigjährigen Krieges ein Spottname für den schwedischen König Gustav II. Adolf.
[2] „Der Schneekönig“ ist der Titel eines 2012 herausgekommenen Dokumentarfilms von Timo Großpietsch und Johannes Edelhoff über einen Kokainhändler.
[3] Kippenberg, August: Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen. Ausgabe A, 2. Teil, Hannover 1888, S. 180.
[4] Der Siebenbürger Bothe, 4.11.1835, S. 4.
[5] Goeze, Johann August Ephraim: Europäische Fauna oder Naturgeschichte der europäischen Thiere. Leipzig 1795, S. 116.
[6] Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. XV (1956), Sp. 412, Z. 12.
[7] Aesop, Aesopische Fabeln. Zusammengestellt und ins Deutsche übertragen von August Hausrath, München 1940.

3.2.2024

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